oder aber: "Verstöpselt und Verkabelt."
Hätte man früher jemanden von hinten gerufen und er hätte dies nicht bemerkt, obwohl er doch der einzige auf der Straße ist, hätte man ihn wahrscheinlich für taub gehalten. Was früher verwunderlich war, ist es heute kaum mehr. Denn nicht gering ist die Wahrscheinlichkeit, dass eben Angesprochener "Stöpsel" im Ohr hat.
Hätte man früher jemanden von hinten gerufen und er hätte dies nicht bemerkt, obwohl er doch der einzige auf der Straße ist, hätte man ihn wahrscheinlich für taub gehalten. Was früher verwunderlich war, ist es heute kaum mehr. Denn nicht gering ist die Wahrscheinlichkeit, dass eben Angesprochener "Stöpsel" im Ohr hat.
Die lieben "Stöpsel" sind eigentlich keine Ohrenstöpsel im eigentlichen Sinne, um Außengeräusche auszublenden. Stattdessen schallen aus ihnen ganz eigene Geräusche: Musik. War man früher umrahmt von der "Musik der Umgebung" (ob Straßenmusiker, Vogelgezwitscher oder Presslufthammer sei jetzt mal dahingestellt), ist der Soundtrack heutzutag frei verfüg- und wählbar. Ein paar (mehr) Euro bei Saturn, iTunes-Store und weiteren Musikablegern investiert, oder aber einige illegale Downloads getätigt und voilà: man stellt sich die hauseigene Musikwunschliste zusammen. Der iPod (der Name ist ja mittlerweile ein geflügeltes Wort für jede Form von MP3-Spieler, mir scheint) wird mal eben randvoll getankt mit trauriger, fröhlicher, peppiger oder entspannender Musik. Für jede Stimmung etwas eben. Für eben diese Stimmungen lassen sich ganze Tracklisten erstellen. Auf meinem eigenen iPod gibt es zum Beispiel die "Megafette Relaxing Chiller-Liste" oder die "Running going crazy laughing Liste" (ach, was wäre der Alltag ohne liebevollst-kreative, ziemlich schräge Feinheiten).
Emotionen werden wach
Soweit so gut, heutzutage spaziert man nicht mehr einfach nur so durch die Gegend, nein: Man hört Musik. Man schwelgt in vielleicht länger nicht gehörten Melodien oder aber vollendet den Tag erst damit, dass man genau dieses eine Lied mindstens einmal am Tag gehört haben muss. Manchmal werden die Augen feucht bei einem ergreifenden Lied, in schmerzlicher Erinnerung an einen schönen Tag, damals mit dem Exfreund, den man so gerne zurückhätte. Oder man spürt zu Juanes fröhlich-beschwingt den lauen Nächten des Spanien-Urlaubs 2010 nach. Oder aber man würde am liebsten hier und jetzt beginnen, richtig abzutanzen, so wie auf dieser Hammerparty damals als genau dieser Song aus basslastigen Lautsprechern die Tanzfläche unter Flutlichtern zum Beben brachte. Die Bandbreite von Emotionen und Erinnerungen, die Lieder in uns (wieder) zum Leben erwecken, ist schier endlos.
Und die Umwelt...?
Bei diesem immensen Angebot, dieser geballten Ladung an Wahlmöglichkeiten, Emotion à la carte: "Na, wie möchte ich mich denn heute fühlen? Fröhlich? Jack Johnson, komm an mein Herz.."
Hat denn da Realität noch gute Karten? Wer wählt den Presslufthammer, wenn er (etwas lauter und am besten aus gut isolierenden Ohrstöpseln bzw. Kopfhörern) genauso gut ein tolles Lied hören kann? Selbst die zwitschernden Vögel sehen angesichts der Leidenschaft und dern Gefühlen, die Menschen mit manchen Musiktiteln verbinden, ziemlich alt aus. Ich spreche hier vor allem von der Generation, die mit den immer kleiner und handlich werdenden tragbaren Musikdatenspeichergeräten aufgewachsen sind und schon früh an das Geohrstöpseltsein gewöhnt wurden.
Immer mehr entscheiden sich für den eigenen Soundtrack statt dem, was die Um- und Außenwelt da so zu bieten hat. Und je öfter man das tut, desto langweiliger erscheinen tatsächlich diese doch oft recht monotonen und nicht besonders spannenden Umweltgeräusche. Es entsteht ein Anspruch darauf, unterhalten zu werden. Auch beim Weg zur Schule/Uni/Arbeit. Auch im Bus. Auch beim Spaziergang im Grünen. Ist man es erstmal gewohnt, musikalisches Vollprogramm auch bei zehn Minuten zu-Fuß-laufen geboten zu bekommen, mag man ungern darauf verzichten. Immer langweiliger und trostloser erscheint sie, diese Stille.
Fast schon nimmt man nun seine ganz eigene Welt wahr. Ich mime manchmal ein Lied, das ich sehr mag, mit den Lippen nach, ohne das groß zu merken . Auf einmal wundere ich mich, wieso mich andere teils verschmitzt, teils aber auch völlig entgeistert anschauen. Es muss irritierend wirken, wenn ich da so in meiner eigenen kleinen Welt bzw. meinem Lied schwelge, das ja sonst keiner hören kann.
Eigene kleine VS. große weite Welt
Das ist auch so ein Punkt. Man zieht sich zurück in eine eigene kleine Höhle mit einer Melodie, die nur in dieser Höhle spielt. Und das aber in aller Öffentlichkeit, wo man die eigene Höhle doch eigentlich verlassen haben wollte. Jeder ist dann irgendwie in seinem eigenen kleinen Universum und das einzige das uns vielleicht noch verbindet, ist die Tatsache: Wir haben alle Stöpsel im Ohr.
Doch wie still ist die Stille wirklich? In letzter Zeit gehe ich wieder öfters bewusst OHNE iPod spazieren. Man nimmt seine Umwelt anders wahr, besser, detailierter. Was anfangs nur Vogelgezwitscher war, sind bald die verschiedenen Vogelarten, von denen jede in ihrer ganz eigenen Stimme trällert. Das Rascheln der Bäume und Blätter im Wind, das kontinuierliche Plätschern eines Baches, das mitreißende Rauschen des Flusses. Aber auch weniger klischehaft und kitschig: die Geräusche der Stadt mit laufenden Motoren, Stimmengewusel und einem Wirrwarr aus Straßenmusik, vermengt mit Fetzen aus Melodien, die von irgendwo in der Ferne schallen, wo vielleicht gerade eine heiße Party stattfindet. Für all das lohnt es sich ja vielleicht doch, die Stöpsel auch mal rauszunehmen.
Und einzutauchen in das Leben.
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