Samstag, 17. August 2013

Stranger auf Dorffest

Was habe ich mich nicht fremd gefühlt. Inspiriert, fasziniert und doch sehr distanziert und vielleicht sogar etwas pikiert. Ich habe im Zuge meines Work-and-Travel-Aufenthaltes ein Hotdog-ähnliches Gebilde namens Dagwood Dog auf einer Art australischem Volksfest verkauft und konnte mich nur noch wundern über all die Menschen, die dort so über den kunterbunten Platz liefen. Sie sprachen in kaugummiartigem Slang, dessen Verwandtschaft mit der feinen englischen Sprache des Oxford-Stiles nur mehr schwer herzuleiten war. Sie stopften die Teile, die ich verkaufte und viele weitere Fettigkeiten am Stil in sich hinein. Schon die Kleinsten wurden damit gefüttert, nie ohne einen ordentlichen Schuss Barbecue-Sauce als Draufgabe.

Obgleich sie mir rein optisch ähnelten, fühlte ich mich, als wäre ich eine Aussätzige inmitten dieser Menschenmenge, die sich in ihrem Kosmos ganz selbstverständlich bewegte und fest ritualisierte Verhaltensweisen verfolgte, während ich nur hilflos zusehen und rätseln konnte. Es war weniger, das ich nicht verstand, was und warum sie es taten, es war mehr, dass ich nicht nachvollziehen konnte, was sie dachten, wie ihr Weltbild aussah, ihre Interessen. Ist man daheim, an dem Ort, an dem man geboren wurde und aufgewachsen ist, kennen die Menschen um dich herum Dinge wie beispielsweise ein schlicht und ergreifendes Leberwurstbrot. Oder die Serie Tatort. Oder Sprichwörter, die uns unser aller Mütter immer wieder eingebläut haben, in eben unserer Sprache, unserem Dialekt, unserer Denkensweise. Kurzum: Man weiß, wie man tickt.

Anders hier. Wie könnte ich mich auch gleichsam fühlen mit Menschen, die lappriges Toast "Whole-Grain Bread" nannten und noch nie echtes dunkles Brot mit ernst zu nehmender Konsistenz geschmeckt hatten? Oder, um ein nicht so herablassend klingendes Beispiel zu nennen, die die Texte von "Wir sind Helden" oder den "Ärzten" weder kannten noch verstehen konnten? Heimweh schlich sich ein, wie ich auf diesem Jahrmarkt stand und mir Fett am Stiel aus den Händen rissen ließ. Es spielte "Surfin USA" in Endlosschleife. Ja, das war Volksfest in Australien.

Dann kamen, Jahre später, die thailändischen Märkte. Ich schlenderte über sie hinweg und natürlich war das wieder ein großes Gefühl der unheimlich spannenden Fremde. Die Gerüche, abwechselnd nach gebratenen Köstlichkeiten, dann wieder nach schockierenden Dämpfen, die Hitze, die Luftfeuchtigkeit. Die Menschen, wie sie so gar anders waren. Nicht nur kleiner, auch leiser, vielleicht auch lustiger, aber das auf ihre Weise. Geselliger. Ebenfalls mit einer großen Liebe zum Essen, aber auf eine sehr kollektivistische Art und Weise. Nicht mit einer Riesenwurst am Stil sondern mit einem großen Becher Nudeln und Huhn, aus dem sie gemeinsam mit Gabeln pickten (nicht mit Stäbchen!). Auch hier habe ich Jahrmarkt-ähnliches Utensil gesehen. So etwas wie kleine Fahrbahnen oder Süßwarenstände für die Kleinen.

Auch hier wieder faszinierend: Ich konnte nicht nachvollziehen, was im Inneren dieser Menschen vorging. Ich spiele auf keine konkrete Obstrusität oder ähnliches an, ich meine viel mehr wieder dieses Alltags-Leberwurschtbrot-Denken. Was war es, was für diese so fremden Menschen das normale Leben ausmachte? Was war ihre Version von "Tatort" und "Wir sind Helden"? Das, was ich aus den Lautsprechern dudeln hörte, konnte ich nicht nach seiner Authenzität beurteilen (da gerne mal Touristenvorlieben in das Geschehen integriert werden).

Was hatte ich mich nicht fremd gefühlt. Inspiriert, irritiert, verängstigt, begeistert, alles auf einmal. So, und jetzt war ich heute auf dem Lieferinger Dorffest, um für die Zeitung Bericht zu erstatten. Liefering ist ein Stadtteil von Salzburg, seinen Titel als Gemeinde musste es schon vor einer Weile abtreten, sehr zum Leidwesen der Anwohner. Sie lieben ihr "Dorf", den Zusammenhalt, die Vereine, "das Gefühl, wenn man am Sonntag zum Hof geht um sich Milch beim Bauer nebenan zu kaufen". Soviel zum Setting. Hier war also das Dorffest, das mir eigentlich sehr bekannt vorkam. Volksfeste, die sind mir als gebürtige Münchnerin freilich ein Begriff. Wie man so zamsitzt, Bier trinkt, irgendwann auf den Bänken tanzt. Oder Fahrgeschäfte ausprobiert, die man lieber nicht gefahren wäre, Steckerlfisch schlemmt und einmal im Jahr Volksmusik erträgt.

Und jetzt das. Ich war mittendrin, tat sogar, als wär ich einer von ihnen und doch kam da ein seltsames Gefühl in mir hoch. Ich kannte es, gut sogar. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Australische Jahrmärkte, thailändische Basare. Menschen mit Gedankengängen und Verhaltensweisen, die mich fremdeln ließen, und das auch ohne einen über zehnstündigen Flug hinter mich gebracht zu haben. Denn wie ich hier gewisse Gesprächsverläufe unwillentlich mitanhörte, diverse Menschen in diversen Outfits begutachten konnte und mich tatsächlich wie mitten auf dem Land fühlte, wurde mir klar, dass ich mich im Alltag selten aus meinem akademischen Umkreis hinaus bewegte. Arrogant soll das nicht klingen, denn dafür müsste ich erst beurteilen können, ob ein hoher Bildungsgrad samt Arroganz oder eine gewisse "Bäuerlichkeit" samt Herzlichkeit besser ist. Kann ich nicht. Mir wurde auch wieder bewusst, wieviele kulturelle Eigenheiten wir eigentlich haben. Das, was für uns buddhistische Schreine, Drachenskulpturen und Kimonos sind, sind für andere Bierbänke, Dirndl und Blechbläser-"Musi". Aber irgendwie sah ich grad auch letztere aus den Augen eines Fremden, der sich darüber nur verwundert und erstaunt den Kopf kratzen konnte. Mir kam das alles reichlich strange vor. Vielleicht, weil ich zuvor versucht hatte, mich in die Australier, später in die Thai hineinzudenken und so immer mehr ein Gefühl für die eigene Identität und Wurzeln verloren habe. Das wäre allerdings ein ganz anderes Thema.

Das Ende vom Lied jedenfalls: Ich spielte mit, lachte mit, sprach im Dialekt. Hatte nebst hoher Anstrengung (es war sehr sehr heiß) auch ziemlichen Spaß. Und wie ich heimging, die Salzach entlang, sah ich auf das in der Sonne glitzernde Wasser und fühlte mich wieder angekommen. Von einer sehr interessanten Reise in ein sehr fremdes Land. Sieben Kilometer weiter von meiner Wohnung.

Mittwoch, 14. August 2013

Stadttreiben

Was ist es eigentlich, das eine Stadt zu etwas Besonderem macht? Natürlich ufert diese Frage ins schier unendliche (oder zumindest auf die Anzahl bemerkenswerter Städte und damit ins quasi unendliche), bezieht man sich auf eine bestimmte Metropole, Ortschaft und allem was dazwischen liegt. Was ist das Besondere an Paris, Hongkong, Mailand, Berlin, Moskau... dazu gibt es in jeder noch so kleinen Bahnhofsbuchhandlung mindestens ein Regal voller Lonely Planets und Baedekers.

Ich frage mich jedoch eher: Was ist es, das für Menschen den Zauber einer Stadt ausmacht. Warum gehen sie dorthin, wo viele andere sind, wo Lichter blinken und laute Geräusche von allen Seiten um Aufmerksamkeit buhlen. Wo es nach Essen riecht, nach einem Gemisch aus Parfum, Schweiß und Abgasen, wo es an manchen Orten grau und trist aussieht und an anderen dagegen prunkvoll, majestätisch, futuristisch. Mit dieser Beschreibung kann man, möchte ich anmerken, freilich nicht jede Stadt auf der Welt charakterisieren. Sie soll nur als eine Ansammlung einiger Merkmale dienen, die in meinen Augen sowie Ohren und Nase die größten Unterschiede zum Gegenteil, dem Leben auf dem Land, dienen. Denn, wie einem kaum entgangen sein wird, ist die Beschreibung nicht durchwegs positiv.


Es mag ja Leute geben, für die ist das Landleben ohnehin nichts. Bei grünen Hügeln mit Schafen drauf denken Sie höchstens an eine Werbung für Alpenmilchschokolade und beim Geruch eines frisch geodelten Feldes würden sie vermutlich spontan in Ohnmacht fallen. Verschlafene Orte, in denen es maximal einen Supermarkt gibt, der um 6 Uhr abends zusperrt und der keine Sandwiches, Salate und Kaffee "to go" im Sortiment vorsieht, machen ihnen Angst. Ich behaupte, meine Wenigkeit nicht zu dieser Kategorie Menschen zu zählen. Aber seit einiger Zeit bin ich mir nicht mehr so sicher. Denn trotz meiner Liebe zu frischer Landluft, ruhigen weitläufigen Feldern sowie entspannten Tieren und Menschen, zieht es mich wie einen Magnet zum Pol in die Stadt.

Was ist es also, fragte ich mich. Was ist das Ausschlaggebende. Es gibt da eine Palette an offensichtlichen Faktoren. Da wären einmal die Freizeitangebote. Ob ich mich nun spontan entscheide, einer Session Bikram-Yoga beizuwohnen oder aber einen Origamikurs belegen möchte: es findet sich sicher eine entsprechende Adresse. Mit Portalen wie Couchsurfing und ähnlichen lassen sich noch schneller Interessensgemeinschaften bilden, so dass keiner lange alleine Film schauen/ schneidern/ laufen/ was auch immer muss. Je größer die Stadt, desto schneller hat sich eine Gruppe von Leuten gebildet, mit denen man potenziell einfach mal alles unternehmen kann, das das Herz begehrt. Das wäre ein Faktor. Ein weiterer ist (konsequenterweise) die kulturelle Vielfalt. Heute in einem original und authentischem indischen Lokal, morgen Tokyo-Standard-gerechtwerdendes Sushi und übermorgen ein Hotdog, wie man ihn nur bei 7Eleven kriegt (das allerdings tatsächlich nicht in jeder (europäischen) Stadt). Viele Avantgarde- und Individualismuskinos, in denen so ziemlich jede noch so extravagante Filmvorliebe bedient wird. Theater, Musik, Kunst, aber auch Sportveranstaltungen, Live- und Openair-Events. Es hat wohl jeder sein eigenes Bild im Kopf, was genau er/sie sich von einer Stadt erwartet und womit er sich den perfekten Tag gestaltet. Je größer die Stadt, desto wahrscheinlicher, Befriedigung auf jedes noch so individuelle Anliegen zu finden.


Viele Argumente für das Leben in einer Stadt. Ist es das, fragte ich mich, ist es das, was für mich das Leben in einer Stadt ausmacht? Der Grund, für den ich treu blickende Schafe und grüne Weiden hinter mir lasse? Gedankenverloren, in einem Shakin-Salad (Becher Salat, Joghurtpampe drauf, schütteln, fertig. Mit Feta und Oliven, lecker.) stochernd, schlenderte ich meines Weges entlang der mit Touristen gepflasterten Fußgängerzone. Doch halt, nicht nur Touristen. Dort im Eck saßen ein Junge und ein Mädchen, die sich die Seele aus dem Leib musizierten, sie eher schreiend als singend, er eher schlagend als klimpernd. Sie hatte blaue Haare. Dann kam mir ein Mädchen entgegen mit einem Kleid, das ich so noch nie gesehen hatte. Ich überlegte, mir genau so eins zu schneidern (obgleich ich bei solchen Gelegenheiten gerne mal vergesse, dass ich leider gar nicht schneidern kann). In jedem Fall inspirierte sie mich zu tiefst. Dann dort, auf der Bank, da saßen zwei ältere Herrschaften, die so sehr zusammengehörten, dass man es sogar erkennen konnte, wenn sie einen Meter auseinander saßen und jeder seinen Gedanken nachhing.

Und da wurde mir klar: Ja, das ist es, mein Grund. Es sind die Menschen. Es ist dieses: Ich gehe raus und weiß noch nicht, was mich erwartet. Wer mir begegnet, was mich inspiriert, was ich sehen werde. Implizit natürlich darauf hoffend, auf diesem Wege auch meiner großen Liebe zu begegnen, bin ich durchaus auch für weniger zu begeistern. Wenn ich darüber nachdenke, steigert sich meine Fasziniertheit ins Unermessliche. Denn ein jeder, der einem begegnet hat seine eigene Geschichte. Hatte eine Kindheit, eine Jugend (bzw. erlebt sie so eben), Eltern, Familie, Freunde. Einen Job. Den Weg, wie er zu diesem Job kam. Die Gründe, die ihn für diesen Job an der Stange hielten. Leidenschaften, Hobbys, Interessen. Man begegnet diesem Menschen und atmet einen Bruchteil seiner Existenz für einen winzigen Augenblick in sich ein. Das Mädchen mit den kurzen schwarzen Haaren und dem Nasenring, die einen bis auf die Eingeweide zu durchschauen scheint. Der ältere Herr mit Hut, wie er sanft über die Welt lächelt, als habe er all die Fragen, die man sich selbst jeden Tag so stellt, längst für sich gelöst. Die Dame in High Heels bis zur Unkenntlichkeit geschminkt und mit erhobener Brust marschierend. Die traurig drein blickende mittelalte Frau mit dem lose hängenden Baumwollkleid und Schultern. Ja, ich könnte diese Liste ewig weiterführen. Und das allein mit Menschen, die ich in den letzten Stunden getroffen, oder besser gesehen habe.


Wenn ich sie ansehe, sehe ich auch mich im Verhältnis zu ihnen. Kann vergleichen. Kann abschätzen. Kann versuchen, zu verstehen, wo ich im Leben eigentlich stehe. Was ich möchte. Was ich NICHT möchte. Manchmal auch, wie ich sein will. Und ganz nebenbei entstehen Gedankengänge, die schließlich zu einem dieser Posts führen, den Sie so eben lesen.

Ja, letztlich ist es nicht der Coffee to go und der Bikram-Yoga-Kurs, die eine Stadt zur Stadt macht. Auch nicht der dreißigste Wolkenkratzer, der fünfzigste verglaste oder verchromte Firmenpalast oder der unter- und überirdisch verlaufende Verkehr.
Es sind die Menschen. Wie sie in ihrer Vielfalt die Straße bevölkern. Wie sie sich in Gruppen sammeln oder doch wieder zum Einzelgänger werden und in allen ihren Eigenheiten und Kuriositäten ihren Weg gehen und sich der Öffentlichkeit zeigen. Es ist "Leute kucken", es ist aber auch "sich inspirieren lassen" und es ist ganz besonders "denken, träumen, projezieren".


Und jeden Tag das Abenteuer: Wer begegnet mir wohl heute?

Dienstag, 13. August 2013

Es war einmal ein Mädchen

Es war einmal ein Mädchen, das kam in eine fremde Stadt. Die Zeit hinter ihr war kalt und grau, ließ sie noch immer innerlich frösteln. Die Augen noch etwas schal und benommen in den Gliedern, blinzelte sie, als sich die ersten Lichtstrahlen durch den Staub kämpften. Es waren verworrene Pfade, die sie in besagte Stadt geführten hatten. Es hatte gedauert, bis sie ihn gefunden hatte, diesen Ort. Doch kaum war sie da, wurden ihre Augen mit jedem Tag klarer, so dass sie eines Tages tatsächlich die ganze Schönheit dieses magischen Ortes erfassen konnte, an dem sie über glückliche Fügungen gestrandet war.

Es vergingen Tage, Wochen, Monate, schließlich fast ein Jahr, bevor das Mädchen sein Glück wirklich fassen konnte. Zunächst hätte sie jeden Augenblick damit gerechnet, jemand könnte des Weges daherkommen und ihr alles wieder nehmen. Es hätte sich alles als Missverständnis, als Irrtum herausstellen können, doch die falschen Lottozahlen. Vielen Dank, dass Sie uns beehrt haben, und nun zurück wo du hergekommen bist. Es war aber auch einfach zu gut, um wahr zu sein. Diese Stadt gab ihr, mehr als gute Luft zum Atmen und ein Dach über dem Kopf, als wertvollstes Gut den Raum für ihre Fantasie. Irgendwann glaubte sie es doch.


Stundenlang spazierte sie an diesem Fluss. Ein besonderer Mensch war es, der ihr auch bald die verwinkeltsten Wege hinauf in ihre später heißgeliebten Berge zeigen sollte. Es waren die offensichtlichen Schönheiten der Gärten, Schlösser und historisch-mondänen Gebäuden, doch es waren für sie besonders die seltsamen Eindrücke, die zählten. Das im Neonlicht schimmernde Heizkraftwerk bei Nacht. Die Lässigkeit der weitaus weniger schicken Stadtviertel und der Geruch nach Essen und Leben dort in der Luft. Das Mädchen dankte Gott und allen potenziell verantwortlichen Instanzen, die ihm dieses wilde Glück im Herzen erlaubten.

Es folgte auf die erste ekstatische Euphorie nun eine lange Zeit der wohligen Gemütlichkeit. Eine tiefe Ruhe, die nun endlich einkehren konnte nach heftigen Stürmen und reißenden Wogen, die sie durchgeschüttelt hatten. Doch, wer lebt, der weiß: Das Leben kennt keine Happy Ends. Nach glücklichen Passagen setzt es sich zwangsläufig fort und kann rein statistisch nicht durchwegs positiv bleiben. So konnte auch die Geschichte des Mädchens hier nicht enden.
In seiner neu gewonnenen Selbstsicherheit wurde es seines Hafens bald überdrüssig. Es hatte sich Routine eingebürgert, ein allzu enger Rahmen gefestigt, so dass die einst als Schatz gewonnene Gleichmäßigkeit keine Gabe der Stabilität sondern nur mehr Unzulänglichkeit zu sein schien. Eine namenlose Panik, Entscheidendes, Spannendes im ruhigen Gang des trivialen Lebens zu verpassen, ergriff das Mädchen. Obgleich es sich geschworen hatte, dies nie zu tun, war es eines Tages doch so weit: Sie wachte auf, und wusste ihr Glück nicht mehr zu schätzen. Wie ein allzu liebender Partner wurde das süße Leben ihr lästig. Mit Feuereifer begann sie, neue Pläne zu schmieden, um dem Hafen zu entkommen. Heute in eine nahe gelegene Stadt, morgen schon auf einem anderen Kontinent, katapultierte sie sich gedanklich und mit Hilfe von Träumen und Internetrecherchen jeden Tag in ein anderes Leben. 

Nach drei Jahren kehrte das Mädchen ihrer Liebesstadt den Rücken zu und war sich sicher, die Zeit des Aufbruchs wäre gekommen. Das Boot stach in See gen unbekannte Zukunft und jeden Zweifel schob sie beiseite. Sie ahnte nicht, was sie erwartete.

Die Leere kam nicht gleich, aber sie kam. Das Mädchen verlor seine Weisen. Die Art, wie es dachte, glücklich war, liebte, schien nun unerreichbar. Das Glück überzogen von einer Plastikplane, durch die man nur schauen, nicht aber greifen konnte. Die Zeit, die kam, war düster und lehrreich zugleich. Zwischen Überlebensinstinkt und Hoffnungslosigkeit, bitterer Sehnsucht und Wehmut, schließlich Einsicht. Ein geliebtes Leben schien verloren.


Man darf auch hier nur von einem einstweiligen Happy End sprechen. Doch ich darf verraten: Das Mädchen kam zurück. Es musste Hürden überwinden. Wachsen, einsehen, verzichten und zulassen. Und ich darf verraten: Es hatte sich alles gelohnt, vielleicht für ihr ganzes Leben, mit Sicherheit jedoch für einen einzigen Augenblick.

Der, als sie aus dem Zug stieg und das Licht ihrer Stadt sie anstrahlte. Willkommen daheim.

Freitag, 9. August 2013

Oh du liebes Scheißwetter

Wie habe ich das vermisst. Die Wolken ziehen zu, es wird dunkel und grau und der Himmel scheint traurig zu werden. Noch gerade eben hat die Sonne gescheint, doch plötzlich ist sie so am Horizont verschwunden, dass man sich nur schwer vorstellen kann, wie sie noch einmal ausgesehen hat. Es beginnt, ein Wind zu pusten, eilig und mit einer vehementen Dringlichkeit rüttelt er an den Bäumen und kündigt an, was die nächsten Stunden passieren soll. Ohnehin schon düster, färbt sich die Umgebung nun fast bedrohlich. Sonst voller Trubel mit lauten Menschenstimmen, Gelächter und Geklapper, ist auf einmal alles ganz still. Es verschafft sich etwas Gehör, das uns allen erhaben ist, und vor dem wir uns fürchten: Das Wetter. Das Winseln in der Luft, das Rascheln der Bäume. Die Luft, wie sie sich elektrisiert. Dann die ersten Tropfen auf den Armen, wie man sie erst spürt, dann riecht und schließlich auf den Lippen schmeckt. Ich, schreit der Wind durch das Geäst, ich bin hier der König! Und wir, pflichtet der Regen bei, wir können dich nass machen. Such du dir doch deinen Schirm, aber du spürst und hörst uns, du entkommst uns nicht.

Es ist nicht sehr schön und es ist gewiss nicht angenehm, wenn man draußen unterwegs ist, wenn ein Gewitter losgeht. Ich habe es so eben wieder erfahren. Es wird einem kalt, was auch immer man anhat scheint einfach nicht vor der Naturgewalt Wetter isolieren zu können. Gerade eben noch alles in der Hand und kosmopolitisch und mit modernsten Techniken ausgestattet selbstbewusst seines Weges marschiert, stutzt man auf einmal, überrumpelt davon, was ein dunkler Himmel mit der Seele macht. Ich will nicht melodramatisch klingen, aber ein wenig wird mir in solchen Momenten bewusst, dass wir stets ausgeliefert sind. Deggendorf can tell.

Ich habe es, ohne hier Hochwasseropfer auf irgendeine Weise brüskieren zu wollen, dennoch so vermisst. Es war nur noch heiß die letzte Zeit und wenn es nicht heiß war, war es warm. Man ächzte, man schwitzte, doch eigentlich war es nicht die Hitze, die mich persönlich am meisten irritierte. Es war mehr diese Konstanz, dieses lethargische Einpendeln auf ein klimatisches Kontinuum ohne große Abweichungen. Honigsüß, lieblich, jeden Morgen Pfannkuchen. Wer mag das schon. Es heißt damit ja dann, zumindest für den alles andere als verwöhnten Mitteleuropäer, für den Sonnenschein und Wärme unabhängig von der tatsächlichen Frequenz stets ein Luxusgut zu sein scheint, dass man was damit anfangen muss. Einfach daheim sitzen und gammeln, wenn draußen die Sonne strahlt? Undenkbar! Fast schon froh war da wohl manch ein Bürohengst, dass er zumindest einen Teil des Tages eine gute Ausrede hatte, nicht jede solarerhellte Sekunde draußen zu nutzen und zu genießen.

Und dann so etwas. Düster. Nass. Kalt. Ich friere, ich habe mich verlaufen, suche meinen Weg. Ich spüre, wie sich meine Kleidung vollsaugt und meine Zehen nicht mehr. Die Finger machen auch langsam schlapp. Wie ich dann die Bushalte fand und dann noch ein Bus kam: Unbeschreiblich. Ich saß drinnen, spürte, wie das Blut wieder warm in meine Extremitäten strömte und sah hinaus. Der Bus schaukelte und wackelte, die Menschen schauten ein bisschen grimmig drein. Und doch war es der schönste Ort der Welt in diesem Moment für mich.


Ich glaube, der Punkt ist: Wetterumschwünge, plötzliche Gewitter, vom Sonnenschein in den Regen in die Traufe und wieder weiter zu den nächsten zart aufkeimenden Strahlen, die sich durch Wolkendecken ihren Weg erkämpfen - das ist doch Leben. Denn wann könnte man sich je lebendiger fühlen, als wenn man vom Wind durchgerüttelt, von Wasser überschüttet und durchgefröstelt in einen warmen, lieben Bus kommt.

Das Herz klopft, Poren trocknen, Blut pulsiert.
Endlich wieder wach!

Dienstag, 6. August 2013

Vertrauen

Da sitzt sie nun und stiert ins Wasser. Manchmal ist das Leben stumm. Sie ist weit gelaufen, hat die Musik sehr laut geschaltet, wollte sich müde machen. Die Kilometer hatten sich aneinander gereiht wie Perlen an eine Kette. Und schön wie eine Perlenkette konnte sie sich nur fühlen, wenn sie spürte, wie ihre Oberschenkel arbeiteten. Wie ihre Muskeln sich kontrahierten, um der großen Anspannung in ihrer Lunge Platz zu machen. Statt Tränen war es der Schweiß, der kullerte und irgendwann war selbst diese Kette beendet und verlangte nach Ihrem Öse, um einen Abschluss zu finden. Nun sitzt sie da und wüsste gerne, ob dies ein Moment war, bei dem andere weinen würden.

Ich würde gern schwimmen, denkt sie sich. Ich würde gern tauchen und dann wieder leben und spüren. Stattdessen ist da ein namenloses Nichts, das sie lähmt und benommen benebelt, dennoch leicht schockiert einfach nur geduckt dasitzen lässt. Ein bisschen fühlt sie sich, als wäre sie körperlich behindert, weil sie verkrampft da sitzt, wie ein Frosch vielleicht.

Was war da nur passiert. Sie konnte es selbst nicht wirklich sehen. In ihrem Kopf nur verworrene Gedanken, schlimme Erinnerung und doch über allen mehr als Hoffnung eher eineGrundeinsicht, dass alles gut werden würde. Aber in diesem Augenblick gibt es nichts, das sich mit dieser Grundeinsicht paaren würde.

Atme ein, atme aus. Das Wasser fließt seines Weges in dem Fluss. Das Leben tut es auch.

Sie schließt die Augen und in ihrer Vorstellung beginnt sie zu lächeln. Ein zögerliches und nur in ihrem Kopf. Doch der Gedanke macht sich breit, seit das Wasser in seiner Weise den Gang der Dinge demonstrierte. Und sie spürt, dass es wahr ist. Das Wasser murmelt es, die Blätter im Winde, wie sie rascheln, raunen es und selbst das tösende Geräusch der Autos auf der nahegelegenen Straße artikulieren es lautstark.

Das Zauberwort heißt: Vertrauen.