Samstag, 24. November 2012

Leben ohne Handy

Seit nun gut über vier Tagen lebe ich ohne Handy. Die Enthaltsamkeit ist keine selbstgewählte sondern auf eigenes fahrlässiges Verhalten zurückzuführen. Ich schlenderte fröhlich aus dem Café, tippte beschwingt eine SMS und machte dann den folgeträchtigen Fehler: Statt es zurück in die Tasche zu werfen, ließ ich es so locker und lustig wie ich mich gerade fühlte, einfach nur in meine Jackentasche verschwinden. Und von der aus wohl in kürzester Zeit auf nimmerwiedersehen gen Asphalt. Denn als ich nach geschätzten 100 Metern schon feststellte, dass das Handy nicht mehr da war, wo es sein sollte, war es schon zu spät. Ich lief die Meter ab und es hätte nur eine Lupe gefehlt, um die Gegend genauer abzusuchen. Keine Spur. Ob ehrlicher Finder oder nicht, schnell war er in jedem Fall.

Im Fundbüro ist nichts und auch sonst ist das Gerät mittlerweile aus. Ich bin noch in Trauer aber ich akzeptiere allmählich mein Schicksal. Scherz beiseite: Ich genieße es!
Schon wenn ich auf einen Spaziergang rausging, hatte ich mich zu Lebzeiten meines Begleiters immer gefragt, ob er denn jetzt wirklich mitkommen müsse. Ich wollte lieber alleine, ohne ihn, aber dann fielen mir diverse Momente ein, in denen dann doch wer wichtiges angerufen hätte. Und ich war nicht erreichbar! Ein Graus. Nicht ohne tiefen Seufzer steckte ich das Handy also stets mit ein und fühlte bei jedem Schritt die Last, wie es sich in der Hosen-(!sicherer, da rutscht es nicht raus)tasche gegen mein Bein warf, als wollte es sagen: "Entspann dich bloß nicht zu sehr. Wenn du mich nicht hörst, ja dann..." So die drohende und spannungsgeladene Einleitung mit der düsteren und alles vernichtenden Botschaft: "...Verpasst du was." Zack, die Angst unserer Generation mal eben in drei Worten ausformuliert. Wer würde sich davon nicht einschüchtern lassen? Eben.


Gut, jetzt verpass ich wohl eine Menge. Ich laufe durch die Gegend, mitunter fast schon lustigen Illustrationen aus Comicheften anmutend mit den Händen in den (leeren) Hosentaschen, ein Liedchen vor mich hinpfeifend und ganz vergessen, dass es sowas wie moderne Technologie überhaupt gibt. Ich sehe Menschen, wie sie mit gerunzelter Stirn und böse dreinblickenden Augenbrauen verwirrt auf dem Bildschirm ihrer Smartphones herumdrücken. Andere atmen tief und mit genervter Inbrunst ein und aus bevor sie in stiller Ergebenheit an ihr Handy mit einem wahlweise schwachen "Ja?" oder aber einem gespielten "Ja hallo, DAS ist aber schön, dass du anrufst" gehen. Wieder andere werden fast vom Auto überfahren, weil sie doch grad noch eine wichtige SMS komplettieren und absenden mussten. Die Umwelt, die schöne glitzernde Salzach in der Sonne, die lustige Frau mit dem riesigen Hut und der niedliche Hund, der sich vor ihre Füße warf, um gestreichelt zu werden... vollkommen unbemerkt. War da was?

Wie oft habe ich eigentlich telefoniert, nur weil mir gerade langweilig war? Geredet und geredet, ohne wirklich etwas zu sagen? Wie oft schrieb ich SMS an Empfänger, bei der die Wahrscheinlichkeit auf eine Antwort niedriger war, als im Vorbeigehen einem singenden Schwein zu begegnen? Wie oft fühlte ich mich irgendwann leer, weil ich soviel kommunizierte, wie vor hundert Jahren auf den paar Metern mit Sicherheit kein Mensch, und doch keine Nähe spürte.


Seit das Handy weg ist, bin ich oft mal allein. Ganz allein. Ich gehe meines Weges in dem sicheren Wissen, das sich niemand bei mir melden wird. Nicht weil mich keiner lieb hat. Sondern einfach nur, weil es nicht möglich ist. In den letzten Abenden habe ich fast immer was mit Freunden gemacht. Denn sobald ich Abends heimgekommen war, fühlte ich mich wirklich entspannt. Fühlte mich nicht einsam, aber begierig darauf, jemanden zu treffen. Hatte Zeit gehabt, mich zu sammeln, um in der Gemeinschaft wieder ein wenig Gesammeltes auszutauschen.

Über Facebook und eMail bekomme ich alles (beruflich) Notwendige mit und auch alles andere kann man sich tatsächlich, bin ich mittlerweile überzeugt, auch ohne Tastengerät holen. Ich fürchte mich nur vor dem Moment, wenn mir jemand freudestrahlend entgegen lächelt und verkündet: "Wir haben Ihr Handy gefunden!"

Sonntag, 18. November 2012

Hilfe, ich liebe eine Maschine

Meine Kaffeemaschine kann sprechen. Früh am Morgen, wenn sie noch schläft, drücke ich sanft ihren Einschaltknopf. Sie blinzelt kurz verschlafen, wahrnehmbar durch ein rotes Blinken, bevor sie auch schon freudig losrattert. Es klingt nicht jedes mal gleich. An einem Tag röhrt sie fröhlich nach kurzer Blinkzeit los, ruft mir freudig ein erfrischendes "Guten Morgen!" entgegen. Am nächsten kommt sie kaum zu potte mit ihrer Blinkerei und auch dann knirrscht sie eher mürrisch vor sich hin, als wollte sie sagen: "Was... schon wiiieder Kaffee... man man man." Wenn ihr der Saft ausgeht, dann ist sie beleidigt. Kein Wasser? Keine Bohnen? Na, dann gibts auch keinen Kaffee.

All das sind Phänomene, die Ihnen nun wahlweise bekannt vorkommen könnten. Diejenigen unter Ihnen, die mich bis dato noch nicht für verrückt erklärt haben, ich hab noch mehr auf Lager. Ich höre schon bevor das Wasser alle ist, dass das Wasser gleich alle ist! Die Maschine klingt dann anders. Auch wenn das Gefäß mit dem Dreckwasser (es hat bestimmt einen richtigen Namen, verzeih, liebes Lesepublikum das sich mit Technik auskennt) lockerer sitzt. Ich höre das nicht nur am Klappern, nein, ich kann richtig durch das ratternde Plastik hindurchspüren, was meine kleine Kaffeebrauerei empfindet. Und überhaupt ist sie eine meiner besten Freundinnen, meine Kaffeemaschine. Wenn es mir schlecht geht, war sie noch immer für mich da.

Gut, ich gebe es zu, zum Schluss hin (aber auch nur da) mag ich ein wenig überzeichnet haben. Dennoch, kurz gefasst: Ich habe eine emotionale Beziehung zu meiner Kaffeemaschine. Und das wiederum bringt mich auf einen weiter gespannten Trichter: Wie war das nochmal mit den Robotern und den Gefühlen?
In zig Filmen wird es thematisiert, das Empfinden und Nichtempfinden für Leben-simulierende Maschinen in ferner und auch durchaus näheren Zukunft (der jüngste der Film "Eva". Sehenswert!).

Ein paar Fragen im Bekannten- und Freundeskreis zeigten, das ich mit meiner Liebe zur Kaffeemaschine nicht alleine da stehe. Auch Gegenstände wie Laptops, Handys, Uhren und sogar Mikrowellen erfreuen sich hoher emotionaler Verbundenheit seitens ihrer Besitzer. 

Sollten also mal lebensechte Roboter erschaffen werden, die zumindest ansatzweise aussehen wie Menschen, könnten emotionale Verbindungen tatsächlich entstehen? Wenn schon mit Laptop und iPod so positive Assoziationen bestehen, dass diese kaum aus dem Leben wegzudenken wären, wie wär das erst bei einem Typen, mit dem man sich tatsächlich verbunden fühlen kann?
Sind es die Funktionen oder ist es die gemütliche Gewohnheit, das "Kennen" dieser Geräte? Ist es falsch, Sympathien zu einer Maschine zu hegen?
Oder bin ich einfach nur zu lange wach gelegen?
Man weiß es nicht.

Sonntag, 11. November 2012

Loch in der Leggins

Meine Lieblingsleggins hat ein Loch am Knie. Das kommt daher, dass sie in ihrer privilegierten Position als Lieblingsleggins freilich auch oft und schon seit vielen Jahren getragen wurde und wird. Nebst inzwischen idealer Anschmiegform und ausgedünntem Kuschelstoff hat sich wie bereits erwähnt leider ein Schönheitsfehler eingeschlichen. Ein kleiner Riss am Knie, der als harmloser Piekser anfing und sich unbarmherzig ausbreitete.

Ich habe die Leggins noch, meine Mutter hasst sie. Ich trage sie, wann immer ich finde, dass ich nun wirklich nicht schick auszusehen brauche. Beispielsweise bei einem Ausflug durch die Wälder. Eichhörnchen, Moos und Bäume werden sich schon nicht dran stören. Auch dass einem andere Wanderer begegnen war mir in diesem Moment herzlich egal. Der leicht resignierte kurze Blick meiner Mutter auf das Loch sprach allerdings Bände, ohne dass sie auch nur ein Wort sagte. Sie ist sensibel und will mir nicht zu nahe treten, daher hielt sie sich zurück. Aber hier war die erste Verunsicherung gesteckt.

Neulich trug ich sie zum Laufen. Ebenfalls eine von diesen Situationen, in denen ich der festen Überzeugung bin, dass es hierbei um etwas anderes gehen muss, als das Zurschaustellen von Kleidung. Frei sein, ist mein Gedanke dahinter, mich zu kleiden, wie ich möchte. Und grad beim Laufen ist dieses Freisein eigentlich genau der Grund, warum ich diesem Sport überhaupt nachgehe. Wie, wenn man selbst in diesem Moment der inneren Kraft und Ruhe auf äußerliche Feinheiten schauen müsste? Unangenehmer Gedanke.

Aber auch hier blieb ich nicht verschont. Wie ich die letzten Meter zurück zur Wohnung ging, die Hörstopsel bereits aus dem Ohr, hörte ich sie kichern, kaum volljährige Weibsen. In einer Clique stehen sie da, eine kompromisslose Jury mit Glitzer, Glamour und Glanz-Fellkragenjäckchen, die nicht verstehen können, wie ich mich nur so gehen lassen kann. "Ich glaub ich kauf ihr eine neue Leggins", raunt die eine der anderen zu (nicht leise genug, offensichtlich, denn ich hörte es). Es hat mich verletzt, obwohl einem sowas doch eigentlich egal sein sollte. Das war mein Gedanke. Zunächst dachte ich trotzig "Ey Alte, lass mal, ich hätt das Geld schon selber, aber nicht jeder hat es nötig, sich über Äußerlichkeiten zu definieren."

Fühlte mich allerdings mit diesem Gedanken nicht wohl. Er klang für mich nicht nur selbstgerecht, sondern auch anmaßend und verurteilend. Eben das, was sie tat, tat ich sozusagen einfach zurück. Bringt einen das weiter? Ich schätze nicht.
Wie weit muss man sich anpassen? Wie weit nimmt man in Kauf, beleidigt zu werden oder auch nur resignierte Blicke zu ernten? Ist es das ganze wirklich wert, muss man immer auf Teufel komm raus individuell sein?

Letztens habe ich die Leggins zum Laufen wieder getragen. Hab einfach nicht dran gedacht. Und an diesem Tag lächelten mich gleich fünf Leute unterwegs ganz freundlich an.
Wenn man sich anpassen will, muss man ja erstmal wissen, was denn nun richtig ist. Die einen finden ein Loch in der Leggins assig, die anderen finden es niedlich und locker. Und, das allerbeste: Es gibt sogar solche, denen die Beschaffenheit meiner Hose einfach wurscht ist.
Ich glaub, wenn genau diesen Leuten was an mir auffallen würde, was ihnen nicht passt. Ja, dann würd ich mich gern anpassen.

Sonntag, 4. November 2012

Träume malen

 Auf Reisen, das ist so ein Phänomen, zumindest wenn man alleine reist. Man fährt von Ort zu Ort und nächtigt üblicherweise in Jugendherbergen und Hostels. Jene günstigen Unterkünften, die alle eins gemeinsam haben: Man trifft die selben Nasen wie man selbst. Auch auf Reisen, auf Sparen und auf Menschen-Kennenlernen aus und allzeit bereit für einen netten Plausch am Frühstückstisch. Im Unterschied zu Hotels oder Urlauben, bei denen sich ja bekanntlich auch nicht jeder hinter unsichtbaren Mauern versteckt sondern durchaus ebenfalls ins Gespräch kommt, sind die Resultate der Gespräche noch unklar.

Im  Hotel dürfte es in der Regel so sein, dass jeder seines Weges geht und eben Urlaub macht. Auf Reisen kommt man zusammen und, wenn es sich eben ergibt, bleibt auch zusammen. Viele Menschen sehen genau in diesem freien, unkalkulier- und unerwartbarem Zustand des "Jederzeit alles möglich" den tatsächlich süchtig machenden Reiz des Reisens. So ist es dann tatsächlich so, dass sich aus manch einem Gespräch langsam aber sicher gemeinsame Pläne stricken, gemeinsame Geschichten ausgetauscht werden und sich letztlich gefühlt wird, als kenne man sich eigentlich schon ewig. Ich glaube nicht unbedingt an Seelenverwandtschaft, aber der Begriff "soul mates" gefällt mir gut. Man ist vielleicht nicht verwandt, aber die Seelen passen zueinander. Oder halt der Charakter. Isjajetzauchegal.'

Auch wenn das Solidarisieren des Reisens und das Menschen-Kennenlernen auf eine sonst selten bestehende Weise ein wunderschönes Thema ist, möchte ich darauf nun nicht hinaus. Es war nur eine vielleicht etwas ausschweifend weil mit schönen Erinnerungen verbundene Einleitung.


Ich hab dann nämlich mal was ausprobiert. Wie man sich so traf, an Frühstückstisch, Couch vorm Fernseher, draußen auf der Bank oder am Strand, da lernte ich die Leute kennen. Und war jemand ganz anderes als ich bin. Ich erzählte Geschichten, die nicht stimmten. Ich erfand Eigenschaften, die ich nicht hatte. Ja, ich spielte sie sogar. Es war kein Lügen im eigentlichen Sinne, denn ich blieb immer nahe der Wahrheit. Aber ich probierte mich in Realitäten. Ich dichtete mir keinen Doktortitel an, aber behauptete, schon einmal in einer physiologischen Praxis ausgeholfen zu haben. Ich machte mich nicht zur Alkoholikerin aber erzählte von wilden Feten, die so tatsächlich nur in meinem Kopf stattgefunden hatten.

Ist das schäbig? Vielleicht. Der Unterhaltungswert war wunderbar und ich glaube, es hatte ohnehin keiner vor, eine Biografie über mein Leben zu schreiben. Der Wahrheitsgehalt meiner Aussagen war somit irgendwo auch wieder egal. Erzählt man Geschichten, sind die ja auch nicht immer wahr. Aber naja, sein Urteil über mein Verhalten darf sich freilich jeder selber bilden. Für mich war es ein spannendes Experimentieren mit meinen grade mal 18 Lebensjahren, in denen man sich nunmal "noch nicht richtig gefunden hat", um es so schön platt zu formulieren.

Das interessante Resultat: Je lebhafter ich Geschichten erzählte, je mehr ich gestikulierte, lachte und die anderen glauben machen konnte, sie wären wirklich passiert (absurd waren sie schließlich nie), desto mehr glaubte ich sie selber. Ich freute mich an meinen Erlebnissen, an den Momenten, die ich in schillernden Farben in die Luft zeichnete. Vergaß bald fast, dass es doch nicht wirklich echt war. Traurig war ich darüber dann nie mehr. Die Fantasie schien zu reichen.
Auch wenn ich stundenlang im Bus saß, am Meer spazieren ging und meinen Gedanken nachhing, tauchten sie auf, alle diese Träume. Ich lebte sie, ich spürte sie, und fühlte mich, als ich zurück in mein Zimmer kam, als hätte ich alles wirklich erlebt. Die Grenzen zwischen echt und Kopf lösten sich mehr und mehr, je freier ich mich fühlte.


Und das macht mich bis heute nachdenklich. Denn auch heute taucht immer wieder der Satz eines sehr klugen Menschens in meinem Kopf auf. "Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt". Albert Einstein, Gott habe ihn selig.
Wenn man die Fantasie hat, sich alle Träume zu erschaffen, die man sich nur wünschen kann und vollends über reale Grenzen hinausgehen kann, um das Ungreifbare zu spüren. Ganz ohne Drogen und mit der reinen Vorstellungskraft.
Wie weit darf man da gehen? Ist es wichtig, dass Dinge wirklich passiert sind? Sollte man sich nicht zu sehr in Träumen verlieren oder ist es genau das, was die schönste Kunst des Lebens sein könnte?


Ganz ehrlich, ich weiß es nicht.