Donnerstag, 28. März 2013

Lebst du noch oder bewirbst du dich schon?

Wenn es ein papierlichtes Ding gibt, das die heutige Zeit perfekt präsentiert, dann sind es wohl die Bewerbungen. Zum hundertsten-, tausendsten mal gleiten die Finger über die Tastatur, werden Bilder, Lebensläufe, Zeugnisse wie diverser veranschaulichender Kleinkram angefügt, wird über den richtigen Schleimgrad zwischen "zu uninteressiert" und "triefend" sinniert und möglichst pfiffige aber doch professionell klingende Adjektive in den Weiten des Kopf- und Internetwortschatzes gesucht. Willkommen im Paradies der unendlichen Möglichkeiten. Eine gelungene Bewerbung und du hast den Jackpot geknackt. So zumindest wirkt es, wenn man sich mal durch die Jobannoncen durchklickt.

Ich wage mal die Vermutung: Es gibt keinen Job, der nicht hin und wieder angenehm geeignet wäre, ihn gegen einen anderen Job einzutauschen. Weil einfach jede noch so tolle Tätigkeit ihre Schattenseiten hat, weil sogar die zunächst reizvollen Faktoren mit der Routine langsam abgeschliffen und irgendwann genauso rund und lauwarm wie alles andere werden können. Und dann wäre da noch das Gras, das bekanntlich immer auf der anderen Seite grüner ist. So kann man also bereits in einem schönen Hafen mit netten Menschen und ansprechenden Aufgaben angekommen sein, das Phänomen packt viele dennoch. Man sieht wahlweise das Boot, mit dem wir in Richtung See mit Abenteuer im Herzen starten und das Blut wieder in Wallung bringen könnten oder aber auch schon den Hafen der nächstgelegenen Insel, der tatsächlich noch viel prächtiger und spannender wirkt, so aus der Ferne. Manch einer hat vielleicht auch von einer noch viel entfernteren Insel gehört, von dessen Existenz er sich nun unbedingt auf eigene Faust überzeugen muss.

Genug der Metaphern, ich glaube, ich habe meinen Punkt erläutert. Im Hier und Jetzt ist alles schön und gut, "kann nicht klagen" trifft es. Doch wer wird denn da bitte stehen bleiben wollen? In der heutigen Zeit voll Digitalisierung, Globalisierung und noch viel mehr -ierung? Von Wandel, Wachstum und Welterkundung?
Auf auf, zu neuen Ufern. Es wird ja auch wirklich alles in Frage gestellt, MUSS in Frage gestellt werden, wenn man doch ständig per Facebook und das Internet generell die Vergleiche mit anderen vor die Nase gezerrt bekommt. Das eigene gefällt vielen nur so lange gut, wie die anderen nicht was Besseres haben. Und da sich wohl niemand wirklich bis in den letzten Eckzentimeter seines Bewusstseins und seiner Persönlichkeit kennt, bleibt immer zumindest eine Restunsicherheit: Ja, bin ich denn wirklich so? Und nicht eher so? Was nochmal war es, was ICH wollte?

Also schreibt man Bewerbungen. Ganz gleich, ob man bereits einen Job hat oder eigentlich schon andere Pläne hatte. Hier winkt ein Angebot, dort die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Sich selbst präsentieren, die eigenen selbstständig gemeisterten Schritte sorgsam aufzählen und weiter im Namen der höchstpersönlichen Ich-AG im Strudel von Millionen anderen Ich-AGs für den höchstpersönlichen Fortschritt kämpfen. Was soll man in so einem Strudel auch sonst tun?


Jetzt definiere mir nur einmal jemand Fortschritt.

Mittwoch, 20. März 2013

Das Leben und so

Vor kurzem hatte ich eine Begegnung der besonderen Art. Ich ging mehr aus Planlosigkeit hinein und ärgerte mich zunächst über einen gefühlt zu hohen Preis. Doch wir waren in munterer Gesellschaft, also nahm man es in Kauf. Bei der Begegnung handelte es sich um einen Kinobesuch und einen für mich in diesem sehr speziellen Moment sehr speziellen Film.

Es war einer, der knapp an Reality-Show vorbeischrammte und authentischer daherkam als manch ein reales Gespräch, das man im Laufe des Lebens so geführt hat. In "Nägel mit Köpfen" ging es um all das, was eben dieses Leben ausmacht. Die Existenz alleine, zu zweit, in einer Familie im gemütlichen Häuschen mit Garten ringsumher oder schicken Zweizimmerwohnung irgendwo mitten im Takt einer wummernden Großstadt.

Gemeinhin könnte man manchmal annehmen, solche Gedanken, Grübeleien und Zweifel kämen nur im eigenen Schaltkasterl vor, nicht aber in den Köpfen der anderen. Sicher, man liest hier einen philosophischen Artikel, schnappt dort ein inspirierendes Zitat auf und kennt all die Neuzeitliteratur, die nicht müde wird, sich mit dem Sinn des Lebens und der Kunst, glücklich zu werden, auseinanderzusetzen.

Doch wenn ich in den Vorlesesaal meiner Universität gehe und mich umsehe, sehe ich erstmal nur lauter Menschen, die viel zu eingebunden sind, als dass sie sich ihren Kopf zerbrächen. Ebenso beim Spaziergang an der Salzach: Alles Leute gut verteilt in Gruppen, die Alltagsbeschäftigungen mit eben dieser Selbstverständlichkeit nachgehen, die ihnen ja eigentlich auch gebührt. Eigentlich. Aber was ist eigentlich selbstverständlich? Etwas, das sich mit der Zeit aufgebaut hat vielleicht. Fehlen dann einfach noch ein paar Reihen Klötze, damit die Existenzgrundlage endlich soweit aufgebaut ist, dass ich gar nicht mehr grübeln muss? Irgendwoher muss das ja kommen, dass man im einen Moment einfach gerade aus geht und im nächsten ganz unklar darüber ist, ob man nicht zurück oder zumindest nun abbiegen sollte.

Ich gehe mal stark davon aus, dass der sehr subjektive und situationsbedingt selektive Eindruck von der Unbeschwertheit und "Unbedachtheit" (ohne die negative Auslegung  des Wortes damit zu meinen) sowohl der Menschen in der Uni als auch an der Salzach, wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat. Tatsächlich wird man auch mich lachend in einer Gruppe antreffen, aus den Augen von jemanden, der mich seinerseits für unbedacht und einfach dahin lebend hält.

Einfach dahin leben. Das tut vielleicht eh keiner. Und hier komme ich endlich auf den Film zurück. Es wurden viele Schicksale gezeigt, die einerseits so normal wie nur irgend möglich, andererseits zumindest auf jeden Fall glaubwürdig wirkten. Das schwule Pärchen, das sich hin und wieder fetzt, aber genau seines Glückes bewusst ist, bis es sich am Ende leider doch trennt. Das hetero Pärchen, bei dem die Frau will, der Mann aber nicht. Das andere hetero Pärchen bei dem beide wollen, und zwar ein Kind, es aber erst am Ende mit einer Adoption schaffen. Und ein weiteres hetero Pärchen bei dem eigentlich auch beide wollen, aber sie muss halt ständig auf Tournee gehen. Diese Schicksale haben in ihrer Darstellung ein wenig an eine Realityshow erinnert, was schon für sich sehr interessant war, für mich aber abgesehen vom Unterhaltungswert nicht der springende Punkt ist.

Der springende Punkt waren tatsächlich und ganz besonders die Dialoge. Und die Monologe, wenn einer über seine derzeitige Lebenssituation sinnierte. Wie da gezweifelt, gezögert, gestaunt, gestanden und geredet wurde, das war wie heilendes Balsam für meine von Fragen immer wieder geschundene Seele. Sie reden zu hören, wie sie ohne großes Drama das aussprachen, was im menschlichen Kopf so vor sich gehen kann. Wie sie humorvoll damit jonglierten und damit durchaus Inspiration gaben, doch auch den Blick aufs eigene Leben mal ein wenig zu lockern.

Es war ein kleines Kino, genauer gesagt "Das Kino" in Salzburg. Was die Besonderheit dieses Abends für mich auch ausmachte, war das lauschige Gefühl, das sich ergibt, wenn deutlich unter 40 Leuten in einem Kinoraum sitzen. Keiner tuschelt, keiner knackt geräuschvoll mit seinen Tortillachips und ein ganz besonderes Wir-Gefühl kehrt ein. Es wird gemeinsam gelacht und Sympathien werden allein schon über diese simple Form der Kommunikation des Miteinander-etwas-Teilens ausgetauscht.

Und so war der Film und das Erlebnis das ich mit ihm verbinde für mich eben jene besondere Begegnung. Eine Begegnung mit einem Verständnis, das sich nun immer mehr hilfreiche Wurzeln in die Wirrungen meines Denkens schlägt: Letztlich im ärgsten Zaudern und Wundern teilen wir uns genau das. Denn das ist Menschsein.


Dienstag, 12. März 2013

Kleiner Zauderer

Man weiß genau, das ist das Richtige. Kennt all die Gründe, aus denen heraus man sich so entschieden hat beinahe auswendig. Hat sogar noch ein gutes Gefühl im Bauch. Ja, so muss es sich anfühlen, wenn man kurz davor steht, sein Leben zu verändern. Im Prinzip zunächst einmal unabhängig davon, ob es sich um den Kauf eines teuren Kleidungsstückes oder gar (wie bei mir) einen Umzug handelt. Besagter Umzug findet allerdings nur in die dritte Parallelstraße meiner vorherigen Wohnung, also im immer noch gewohntem Terrain statt und wird dadurch in seiner Gewichtigkeit vielleicht geschmälert.

Aber Umzug ist Umzug. Letztens ertappte ich mich selbst beim Drücken der Toilettentürklinke dabei wie ich innerlich seufzte: "Oh du Klinke, oft werde ich dich nicht mehr drücken". Ich sehe besonders oft aus dem Fenster, weil ich versuche, mir zu merken, wie das war, aus diesem Fenster zu sehen. Ich liege auf meinem Bett und sauge das Gefühl in mich ein wie ein Schwamm, wie das ist, in dieser Wohnung in diesem Bett und mit dieser Rundumbeschallung durch die St.Andrä-Kirche zu liegen. Wer sich jetzt denkt: "Ja Mädl, was ziehstn dann auch um?", der missversteht mich. Vielleicht bin es gar ich, die sich selbst missversteht.

Denn ich gestehe es hier und jetzt und (naja hoffentlich nicht) für alle Zeiten: Ich habe Angst vor Neuem. Das Alte kann noch so alt/ unpassend/ blöd/ nicht zufriedenstellend sein, das sich ankündigende Neue, das, je näher es kommt, fast schon einem dröhnenden immer lauter werdenden Getöse gleichkommt, macht es zum attraktivsten jemals dagewesenen Zustand. Vergessen die rationalen Argumente, vorbei das (durchaus objektive, aber eben auch auf gesunde Weise irrationale) Bauchgefühl. Madame "Ich-weiß-wo's-langgeht" macht sich klein, zieht den Schwanz ein und geht in Deckung. Versteckt sich hinter dem Altem. Das wiederum wendet sich nun gegen einen. "Tja, da musst du jetzt durch!", höhnt es. Man muss an dieser Stelle ja auch verstehen, dass es sich hintergegangen, verletzt und bald verlassen fühlt. Da braucht man nicht viel Mitleid zu erwarten. Im Gegenteil, in solchen Momenten  versteht es das Alte, nochmal mit Nachdruck all seine Vorzüge zu präsentieren.

Aber: Ich kenne seine Tricks und seine Kniffe. Gerade zu müden Abendstunden kommt es mit ihnen daher und versucht mir Angst einzujagen. Dagegen hilft eigentlich nur eine Sache richtig gut: Schlafen. Und am nächsten Tag aufwachen.

Wenn draußen die Sonne aufgeht, ein neuer Tag beginnt, dann bin ich wieder voller Energie. Energie, um den Tag anzupacken und damit ein weiteres Minikapitel meines Lebens. Denn wäre eben jenes ein Buch, würde ich schließlich auch nicht immer wieder das selbe schreiben wollen. Es gilt, eine Geschichte zu schreiben.
Meine eigene. Das soll kein Aufruf dafür sein, künftig nur mehr verrückte und neue Sachen zu machen. In meinem Fall ist der Plan gut durchdacht und lang ersehnt.

Das fällt mir dann auch wieder ein und die Aufregung und Freude packt mich wieder: Da wartet noch viel. Bei etwas zu bleiben, nur weil man Angst vorm Neuen hat, scheint mir nicht richtig. Stattdessen glaube ich fest daran: Das beste was man machen kann:

Loslassen. Frei sein.

Freitag, 8. März 2013

Vom Suchen und Fischen

Wie ist das eigentlich, wenn man morgens aufwacht und gar nicht genau deuten kann, woher diese Unsicherheiten kommen, die durch die Blutbahnen herumzischen, die tausend Fragen, aber keine Antworten haben? Was hat es damit auf sich? Mit der Zeit hat man sich doch sein Leben sondiert, gefunden, geordnet, gepuzzlet, immer wieder neu durchdacht und letztlich eine tägliche Kollektion an Beschäftigungen für sich zusammengestellt. Und nun kommt da auf einmal ein großes leeres Achselzucken daher, das einem gleich noch eins auf den Deckel gibt. Wie jetzt, so? Nicht anders? Warum nicht anders?

Wäre das Leben ein Computerspiel wäre es wohl das schwierigste und komplizierteste der Welt, bei dem selbst Fachredakteure von einschlägigen Gamer-Zeitschriften sich die Zähne ausbeißen würden. Soviele Möglichkeiten wird es auch in hundert Jahren in einem Simulator nicht geben. Soviele Arten und Weisen, das Hier und Jetzt aufzunehmen, zu gestalten, zu verändern.

Verwirrt verwundert ging ich raus und da strahlte mich die Sonne an. Sie lachte. Die lacht eigentlich immer, die alte und immer kommt dann die selbe Frage: "Ja was? Was ist denn?" Die versteht es nicht, die scheint einfach.
Hm, vielleicht eine gute Idee? Sollte ich das als Inspiration werten?

Ganz so einfach ist es nicht, denn ich kann eine Weile in der Sonne gehen und mit ihr im Taumel frühlingshafter Glücksgefühle ein wenig "scheinen". Aber nicht den ganzen Tag und vor allem nicht (zumindest nicht ohne den Konsum diverser bewusstseinsverändernder Mittelchen) mit dem Gefühl, den heutigen Tag sinnvoll und toll genutzt zu haben. So einfach ist es halt nicht. Da gibt es ungefähr eine millionen innere Dränge, Sehnsuchte und äußere Notwendigkeiten, die nach Aufmerksamkeit buhlen. Aber welchen soll man nun folgen?

Wie wenn das Leben ein Computerspiel wäre? Es kommen so viele Faktoren hinzu, die es schwer machen, das alltägliche Leben objektiv zu sehen. Auf dem Weg kreuzen einen Gerüche, Begegnungen, Gefühle, Menschen, manchmal auch Wunder. So packend und absolut alles bisher Erlebte aufwühlend wie es eben nur im echten Leben geht. Aber es gibt Anhaltspunkte, das Leben zumindest einigermaßen in den Griff zu bekommen.

Was will ich?
Was tut mir gut?
Scheint im ersten Moment ein feiner Leitgedanke zu sein.

Doch die heutige Zeit macht es nicht leicht, die Frage erwächst sich nur immer wieder: Kann es nicht sein, dass das eigentlich was anderes wartet, das ich nicht machen kann, weil ich grad mit dem Falschen beschäftigt bin? Gibt es, wenn man so denken würde, dann im Prinzip nur falsches? Oder andersrum, nur richtiges?
Meine Gedankengänge kann an dieser Stelle wohl nur mehr jemand verstehen, dem sie selber einmal durch den Kopf gegangen sind. Wer angesichts solcher Verwirrtheit die Flinte des Nachvollziehens ins Korn wirft, für den hab ich größtes Verständnis. Das mach ich ja selbst fast jeden Tag (zumindest zu manchen Phasen).

Jetzt hab ich heut Morgen was über einen Fischer gelesen. An einer Küste auf einer französischen Insel, der kaum je am Festland war und wenn dann auch nur am direkt gegenüberliegenden. Er verbrachte sein Leben damit, Netze zu flicken und auszuwerfen, Fische zu fangen, vielleicht Holz zu hacken und mit seinen Liebsten zusammen zu leben. Er sah aus wie ein zufriedener alter Mann auf dem Foto. Wie man so liest, was er erzählt, kommt einem vieles in den Sinn, aber eins nicht: "Also der hat ja was verpasst". Vielmehr ist das einer, der weiß, aus welchem Holz er geschnitzt ist und wo sein Gewächs heimisch ist. Wo er heimisch ist, wo er hingehört.

Sollen wir jetzt alle Fischer werden? Hm, wohl eher nicht.
Aber vielleicht mal ein bisschen mehr im Hier und Jetzt, so wie der Fischer auf seinem Boot.
Geht nicht, mit all den Alternativen direkt vor der Nase?
Tja, da wären wir wohl bei der Herausforderung unseres Zeitalters. Sein Fischerboot finden, wo einem sämtliche megacoole Alternativen dezent den Buckel runter rutschen dürfen. Bleibt das Gedankenkarussell nach ein paar auslaufenden Runden schließlich stehen, ist man endlich bereit, einen lieben Gast zu empfangen: Die wohlige Zufriedenheit.