Montag, 29. Dezember 2014

Die Besten


„Ich trinke auf alte Freunde...“, so oder so ähnlich beginnt der Refrain eines bekannten Böhse-Onkelz-Lieds. Die nun durchaus in die Jahre gekommenen Onkel kann man finden, wie man möchte – diese Worte sind denkbar wahr. Ich habe das jüngst am eigenen Leib erfahren. Es war Weihnachten.

Das Seltsame ist: Wenn ich ehrlich bin, denke ich zwar hin und wieder an früher und die damit verbundenen Menschen. Wirklich vermissen tue ich aber nicht. Nicht, weil ich sie nicht ehrlich lieb habe und schätze, sondern weil das Leben nun mal anders spielt. Da gibt es einen Haufen Arbeit zu erledigen, da will ich noch joggen und schwimmen gehen und bevor der Tag rum ist, bleibt noch ein bisschen Zeit für den Hausputz, die Spülmaschine und den Herzallerliebsten. Und wo ist da die Zeit zum Vermissen? Eben.

Wir trafen uns in einem italienischen Lokal, es war verglichen mit vorhergehenden Jahren eine deutlich dezimierte Zahl. Auch das scheint ein deutliches Zeichens des Alterns zu sein – klar, nicht nur ich habe mit zunehmend fortschreitendem Lebensstatus meine eigenen Pläne, auch die anderen haben sie. Ein paar haben doch den Weg am 23. Nnach Ebersberg gefunden. Und da hat es mich ein bisschen überschwemmt, dieses Gefühl der Wiedersehensfreude.

Es begann damit, dass mich meine allererste beste Freundin von der Haustür abholte – schon das ein altgewohntes Ritual. So hatten wir es Jahrelang gemacht, um gemeinsam zu Grundschule, Gymnasium oder zum Fortgehen zu stiefeln. Wir waren beide nicht die Helden der Pünktlichkeit, und immer wenn die eine unpünktlich war, war es der anderen grad furchtbar eilig – so implizierte dieses Verfahren einen ganzen Haufen Konfliktpotenzial. Wir haben uns auch durchaus oft gerauft, wie Mädchen das eben tun. Ohne Haue, dafür mit Sticheleien und ab und zu wutentbrannten Schreien. Um Pferdedeckchen eines Plastiktieres, darum, wer Nala beim Rollenspiel sein darf und manchmal halt auch einfach so.

Vielleicht ist das das, was eine echte Freundschaft ausmacht. Oder zumindest: Wenn sie es aushält, dann ist sie echt gut. Denn ich habe mich mit der überwiegenden Mehrheit meiner richtig guten alten Freunde eigentlich nicht gezofft – oder kann mich nicht erinnern. Wie ich sie alle in den Arm nahm, wie sie da im Italiener schon auf uns warteten, freute ich mich viel mehr, als ich mir das vorgestellt hatte. Auf einmal schien mir wieder alles möglich. Wir würden zusammen den Mond erobern können, oder zumindest die Welt – so wie einst mit dem Radel quer durch die Umgebung unserer bildschönen Heimat. Und früher war gar nicht mehr so weit weg. Vielleicht sollten wir bald mal wieder fortgehen, mit schief gezogenem Eye-Liner, zu viel Wimperntusche und Push-Up-BH?

Nein, Scherz, solche Aufreißer respektive Tussis waren wir eigentlich gar nicht. Wir waren mehr auf Wein- und Bauernfesten unterwegs denn in noblen Münchner Clubs. Die Pampa rund um uns herum hatte es so an sich, hier und da mal ein großes Bierzelt aufzustellen und dort nebst traditioneller Heimatmusik auch mal die Musik, die in den letzten zehn Jahren hip war, zu spielen. Wir genossens und tranken Malibu Kirsch und Wodka-O dazu.

Bevor ich jetzt noch von durch besagte wenig kultivierte Gegenden getragenen Bierkästen anfange, komme ich wieder zur Sache. Auch wenn wir heute eine Maracuja-Saftschorle den dürftig gemixten hoch alkoholischen Getränken von damals vorziehen: Die Freunde von daheim sind doch die allerbesten.

Montag, 15. Dezember 2014

Die verstoßene Strumpfhose

Ich habe da so eine Strumpfhose. Sie ist alt, ihre früher strahlend "lilane" Farbe ist längst irgendwo in den Abgründen der Waschmaschine verschwunden. Früher war sie mal dick und flauschig, jetzt ist sie dünn und leicht. Früher ein beliebter Begleiter zu festlichen Anlässen (sie ist eine ganz feine Dame, aus Kaschmir und von Falke), verbringt sie nun ihren Lebensabend auf eine ganz andere Weise: Sie ist meine Lieblings-Über-die-Radlhosen-zieh-Hose. Denn jetzt wo es draußen zwischen 0 und 3 Grad hat, hat sie genau die perfekte Konsistenz, um meine Waden zu wärmen.

Warum ich Ihnen das alles erzähle? Tja, also die Sache ist die: Die Strumpfhose hat noch ein anderes Manko. Sie hat ein Loch. Mitten am Hintern. Bevor jetzt wilde Spekulationen starten, werfe ich es gleich vorweg: An dem Loch war früher ein Etikett. Ich hasse Etiketten, so fühlte ich mich bemüht, es restlos zu entfernen, was leider nicht ohne Folgen blieb für das arme lila Geschöpf. Und jetzt ist da eben ein Loch, wo einmal das Etikett war. Früher hat man das Loch nicht gesehen, da ich die Strumpfhose schließlich UNTER Rock und kurzer Hose trug. Nun kommt sie über die Radlhose – und das Loch entblößt nicht etwa nackten Hintern sondern schlichtweg ein schwarzes Stück Polyamid-Elasthan-Gemisch.

Die Menschen um mich rum zeigen sich dennoch pikiert. Als mich neulich eine ältere Dame im Pelzmantel darauf ansprach, ich hätte da ein Loch, und ich ihr daraufhin strahlend berichtete: "Ja, ich weiß, das zieh ich immer über meine Radlhose an", war ihre Reaktion nicht "Ah, natürlich, wie konnte ich das übersehen!" sondern ein Paar überaus skeptisch hochgezogene Brauen. Ich hielt sie für dämlich und eitel und versuchte anschließend meinen Ärger über sie hinfort zu strampeln. Auf einmal hatte ich das Gefühl, ein Straßenpenner oder ein Drogenjunkie zu sein. Vielleicht beides.

Dann war eine Weile Ruhe. Ich strampelte in alle Herren Richtungen, genoss die Sonne, den Wind und den Bergblick und dachte an nichts Böses. Dann kaufte ich im Supermarkt meines Vertrauens ein und wie ich an der Kassa stand, erhob sich meine Lieblingsverkäuferin auf einmal von ihrem Stuhl. Sie kam auf mich zu. Ich war verwirrt. Da nahm sie mich beim Arm und flüsterte mir ganz ganz leise ins Ohr: "Du, du hast da ein Loch! Am Popo!" Plötzlich fühlte ich mich erneut vom Pein geplagt. Meine Erwiderung "Ja ich weiß, die trage ich immer über meiner Radlhosen" klang schon deutlich schwächer.

Zuhause sah ich mich im Spiegel von hinten an. Ja, ein kleines Loch am Popo, stimmt schon. Aber doch über der Radlhosen. Mein Hintern ist ja wohl kaum schwarz. Jetzt frage ich mich: Soll ich so eine schöne Strumpfhose wegwerfen, die genau jetzt die perfekte Konsistenz erreicht hat, um mir noch viele Monate, vielleicht sogar Jahre, einen treuen Dienst zu erweisen? Ich will sie nicht auf Business-Meetings und Hochzeiten tragen. Es geht doch nur um meine geliebten Stunden alleine, nur mit mir und meinem Radl-Ross. Und gelegentliche Abstecher in den Supermarkt.

Fast schon treibt mich das Sujet zu einer viel übergeordneteren Frage: Muss man sich dann anpassen, wenn alle sagen, dass etwas nicht richtig ist? Oder kann man so weiter machen, wenn man ganz genau weiß, dass man bestimmt niemandem weh tut und sich alles ganz locker flockig anfühlt?

Neulich hatte ich dann eine schwarze Leggins über der Radlhosen an. Ohne Loch versteht sich. Die lila Strumpfhose blickte mich traurig an und fragte: "Wirklich? Wegen denen?" Und ich kann ihr gerade keine Antwort geben. Ich muss darüber nachdenken.

Sonntag, 7. Dezember 2014

Alle Jahre wieder...

Hurra, die Weihnachtszeit ist wieder da. Mit ihr ziehen leuchtende Sterne, Rentiere und Nikoläuse in jeden einzelnen Winkel Salzburgs. Selbst Industriegebiete erwärmen sich neuerdings für Lichterketten hier und da – klar, auch Ingenieure und Bauarbeiter haben schließlich ihre Bedürfnisse. Der Christkindlmarkt hat wie jedes Jahr vorsorglich schon gefühlt Anfang Oktober, tatsächlich Mitte November Einzug gehalten, damit schon viele Wochen vor dem eigentlichen Fest ordentlich Glühwein gebechert und entsprechend Geld auf den Kopf gehauen werden kann. Hachja, alle Jahre wieder.

Mit der herrlichen Weihnachtszeit kommen auch die vielen lieben Touristen in unsere schöne Stadt. Höchstwahrscheinlich sind es zu dieser Zeit mehr als zur berühmten Festspielzeit – denn während Mozart und Jedermann ein eher erlauchtes Publikum ansprechen, erfreut sich Weihnachten in unseren Breitengraden doch einer recht allgemeinen Beliebtheit. Kinder, die noch zu klein zum Selber-Entscheiden sind und eher unwillige Gatten werden da bei Widerworten ganz einfach mitgeschleift.

Da sind sie nun, die Heerscharen an Touristen. Die, die schon mal mit dem Auto da waren, begehen den Fehler selten ein zweites Mal. Stattdessen reisen sie mit der Bahn an. Doch seltsam: Man fällt tatsächlich nicht vom Bahnhof direkt in den Christkindlmarkt hinein – man muss sich entweder im verqueren Busnetz zurechtfinden oder den Weg zu Fuß finden. Beides eine komplizierte Angelegenheit, wie es scheint. Nicht selten picke ich arme Gestrandete irgendwo in Schallmoos oder Itzling auf – meilenweit weg vom Ziel.

Wenn sie sich dann auf dem richtigen Weg befinden, müssen sie sich oft furchtbar ärgern über die Salzburger Einheimischen. Dass das mitnichten freundliche Menschen sind, sondern vor sich hin grummelnde und nicht gerne Auskunft gebende Grantler, das mussten schon viele arme Touristen feststellen. Besonders jene, die sich auf einem Fahrrad fortbewegen, gelten als mit Vorsicht zu genießen. Sie bleiben nie stehen, sie steigen erst recht nicht ab und wenn es sein muss, fahren sie einen schon mal über den Haufen. Natürlich nicht ohne mit wutverzerrtem Gesicht düstere unverständliche Schwüre von sich zu geben.

Ok, ich geb's zu: Ich bin der Radlfahrer. Über den Haufen gefahren habe ich aber noch niemanden. Nur werde ich an Weihnachten, wenn die Brücken, Straßen, Gassen und eigentlich alles was sich im vagen Umkreis der Innenstadt befindet mit Touristen vollgestopft sind (erkennbar an den Fotokameras, asiatischen Gesichtern oder hochdeutschen Sprache), ganz besonders oft ermahnt und in meine Schranken gewiesen. Beispielsweise wenn ich mich erdreiste, auf dem Fahrradweg zu fahren und zu klingeln, wenn jedes einzelne Familienmitglied bei seinem Marsch geschätzte drei Quadratmeter für sich beansprucht und damit den eigentlich sehr breitangelegten Weg komplett versperrt.

Es gibt aber auch sehr nette Touristen. Sehr gerne zeige ich anderen Besuchern, kennengelernt über die Plattform "Couchsurfing.org" meine Wahlheimat und führe sie zu den Plätzchen, die mir persönlich am besten gefallen. Aber manchmal wäre andersrum ein bisschen Rücksicht auf und Nachsicht für die Einheimischen wirklich schön. Zum Beispiel wenn man es im Gegensatz zur bummelnden Besucherschaft gerade sehr eilig hat. Dankeschön.