Mittwoch, 23. Januar 2013

Globale Waisenkinder?


In faszinierenden Zeiten leben wir. Gerade sitze ich im Zug mit einem jungem Kerl, der vor einem Tag erst mit dem Flieger aus Südamerika zurückkam. Was er dort gemacht hat? "Nen Freund besucht." Klar, was sonst. Wer, außer durch verworrene Zufälle, hätte das wohl früher behaupten können? Freunde haben wir nun allerorts. Und Existenzen mit dazu. Studium in Australien, Auslandsemester in Hongkong, Praktikum in Moskau. Da hat man mit einer Besuch von Freunden in Hamburg erzähltechnisch nicht unbedingt das Ass im Ärmel. Möchte man meinen, doch selbst das ist nicht wahr. 

Denn was, wie ich nun immer häufiger feststelle, unsere Zeit tatsächlich auszeichnet sind nicht (nur) die Fernreisen. Es sind eher die heutigen Umstände, dass Reisen für viele schon bald nicht mehr Reisen ist sondern mehr ein üblicher Zustand. Die Frage "und dann" immer im nächsten Atemzug.
Überall auf der Welt zuhause. Neuzeitnomaden. Über Couchsurfing binnen weniger Stunden einen Schlafplatz bei jemandem gefunden und das nicht nur in Metropolen sondern auch in Kleinstädten, wird einem bald ein viel tieferer Blick in das Leben des bereisten Ortes zuteil, als das im Hotelclub Adria oder der Pension Luisa-Marie je möglich gewesen wäre. Fast schon selbstverständlich reiht man sich einfach ein in die Menschen, die die Straßen entlang laufen. In interkulturellen Zeiten fällt man (zumindest in sehr vielen Länden) ohnehin nicht mehr auf. Der Begriff "Tourist" scheint ungefähr so modern zu sein wie das Tabakrauchen aus der Pfeife. Stattdessen arbeitet man, trifft Freunde und lebt Leben, nur eben mal im anderen Rahmen.

Es sind faszinierende Zeiten. Ich finde sie zuweilen sehr beängstigend. Wenn ich an Glück denke, dann fällt mir eigentlich zu aller erst ein: Meine Familie. Mein jetziger Studienort Salzburg, an dem ich nun doch schon drei Jahre ohne Unterbrechung bin. Schon auch an Abenteuer, aber das sind mehr die Ausreißer nach oben (und nach unten!). Es gibt diese Momente in denen ich mich unendlich angekommen fühle. Zufrieden mit mir und der Welt, im Einklang mit allen meinen Facetten. Als ich das das erste Mal in Salzburg gespürt habe, war ich überglücklich. Und jeder neue Ort bringt auch die neue Suche mit sich.
Geht das wirklich, was viele so sagen (unter anderem sehr religiöse Menschen)? Dass es eine reine Instanz tief in einem drinnen ist, unabhängig von Ort und Zeit? Oder ist es, wie auch von vielerseitens behauptet, ein Grundbedürfnis, ein festes Zuhause zu haben, das mehr ausmacht als einen Rucksack?

Wie fühlt sich jemand, der seit Jahren umherzieht und eigentlich nie wirklich wo länger bleibt? Vielleicht ist er ist grenzenlos frei und glücklich. Ich fühlte mich damals auf Reisen oft nur eins: verwaist. So frei wie ein Kind, das seine Eltern verloren hat. Es kann hingehen wo es will. Aber eine tiefe Sehnsucht lässt sich nicht verleugnen.
Heimatverbundenheit ist ein wichtiges Thema in praktisch allen Kulturen (wobei hier eine nähere Studie zu denen von Nomaden natürlich insbesondere spannend wäre). Lieder wurden komponiert, Gebäude errichtet, Dialekte haben sich verfeinert. Letztlich ist jedes Haus, das mit Liebe eingerichtet wurde, ein Zeugnis vom Schaffen einer eigenen Höhle, eines Zuhauses. 

Ich muss nicht wissen, was die Erde im Innersten zusammenhält. Mir würde schon reichen, zu wissen, was Globetrotter im Innersten zusammenhält.
Und deswegen werde ich reisen, immer wieder. Schon allein, um das zu verstehen.