Samstag, 27. Oktober 2012

Immer wenn es draußen grau wird

Immer wenn es draußen grau wird, komme ich zu mir. Es breitet sich Ruhe aus. Gestern noch war es ganz still, sogar der Wind schien zu schlafen. Weil es kalt war, konnte man, wenn man genau aufpasste, ein Klirren hören in der Luft. Die ersten ankündigenden Klänge von Schnee und Winter. Doch eigentlich war da nur Ruhe. Auch jetzt ist alles was das stumme Grau draußen durchbricht der Regen. Er ist nicht heftig sondern er passt sich an und besprüht gemächlich die Stadt und die Berge. Nicht zu laut, passt zur Stimmung und fließt mit ein in das rundum triste Bild da draußen.

Ja, ich finde es trist. Aber ich finde es nicht traurig, wenn das einen Sinn ergibt. Denn ich habe aufgehört, nur in Fröhlichkeit und euphorischer Sonne Schönheit zu finden. Es ist doch so: Wenn draußen die Sonne strahlt und alles zu rufen scheint "Komm raus, hab Spaß, genieße mich!" und wir dem folgen, ist das wie ein volles Programm. Man lässt sich draußen treiben, die Menschen sind fröhlicher weil hormonell von Sonnenstrahlen zu aktiven Treiben und freudigem Lächeln motiviert und man tanzt eine Art Sonnentanz mit ihnen mit. Es wird geredet, gescherzelt, im Sommer gebadet, im Herbst und Winter halt dann nur noch gesonnt und überhaupt ist die Stimmung ausgelassen. Wenn die Sonne scheint, dann geht es den meisten Leuten einfach besser und die Welt sieht freundlicher aus.
Das ist etwas schönes und ich würde es nicht missen wollen. Aber es ist, wie schon gesagt, ein bereits in sich vollständiges Programm. Es bedarf kaum mehr, um sich in diesem Moment wohl zu fühlen. Für die einen mag das ein Geschenk sein. Ich musste jedoch in Ländern, die immerzu heiß und freundlich sind feststellen, dass es das nicht für mich ist. In Australien etwa machte es mich mürbe. Nicht die Hitze. Die Sonne! Immer Sonne. Immer freundlich, fröhlich, lustig.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin sicher niemand, der sich schlechte Laune herbei wünscht. Aber Ruhe, die schon.

Denn heute ist es grau, aber heute ist es auch ruhig. Gestern war es schon so und ich zog meine Schuhe an und ging raus. Ich fühlte mich ein bisschen leer. Keine Sonne, die das ganze ausfüllte und vergessen machte. Kein Lächeln, das mich ablenken konnte und keine fröhlich hüpfende Euphorie warmer Strahlen und leuchtender Farben. Nur die Stadt, die Salzach, das Wasser das darin floss und ein leises Rauschen. Und sonst dieses Klirren. Ich ging eine Weile, fühlte mich ein bisschen traurig. Ein leeres Traurig, wenn es keinen richtigen Grund gibt und man aber gerade einfach keinen frohen Gedanken finden kann, in den man sich schmiegen könnte.

Ich ging dann dahin, wo ich immer hingehe, wenn ich nachdenken möchte. Auf den Mönchsberg. Auch hier war das selbe Bild, die Bäume und der Laubboden und die Steine und Hügel und Täler, alle schienen sie sich heute ein wenig farblos zu fühlen. Aber sie lächelten mich an. Etwas müde und viel ruhiger als im Sommer, aber immerhin. Und dann geschah das, was mir eigentlich immer nur bei einem solchen Wetter passiert. Weil es so still um mich war, konnte ich aufeinmal ganz tief in mich selbst hinein hören. Die Stimmen, die sprachen. Die Erinnerungen, die den Teppich für das boten, was sich sonst so abspielte, und endlich mal pausierte. Auf dass man den Krempel wegräumen und den Teppich nun endlich einmal begutachten konnte. Die Bilder, von denen ich glaubte, sie wären verblasst, konnte ich auch wieder finden. Sie waren noch immer so schön bunt, wie ich sie in Erinnerung hatte.

Ich hielt sie neben die etwas triste wirkende Landschaft, zum Vergleich, und erkannte, dass sie mich zusammen unendlich glücklich machten. Ich besann mich darauf, was ich mir im Leben noch wünschte, was ich schon hatte und all das konnte erst leuchten, weil das Um mich herum aufmerksam zuhörte und nicht selber laut war.
Ich träumte, ich dachte all diese Gedanken, die ich mir nur denke, wenn ich ganz ruhig und friedlich und in meiner Mitte bin.

Ich weiß, das hört sich alles möglicherweise etwas esoterisch an. Vielleicht auch langweilig. Oder am Ende verrückt, geisteskrank.
Aber vielleicht können Sie es nachempfinden.
Immerhin ist es das, was uns unser Leben lang begleiten wird, egal wo und wer und was wir sind und machen.
Unsere Gedanken und Erinnerungen. Unsere Träume.

Samstag, 20. Oktober 2012

Blick in die Zukunft

Manchmal habe ich kurze Ausblicke in etwas, das ich glaube als Zukunft zu erkennen. Natürlich handelt es sich eher um einen kräftigen Schuss Übermut der Fantasie, aber dennoch wirkt es ganz klar und wie auf der Hand, dass das Bild vor meinem inneren Auge einmal so sein wird.

"Früher", erzähle ich da, als alte Dame, wie ich mit meiner Enkelin durch den Supermarkt schlendere und wir Gurken, Pudding und Waschmittel in den Einkaufskorb fallen lassen, "ja früher, da mussten die das an der Kassa alles einzeln scannen!" "Wie?", fragt die Kleine und ihre Nase läuft schon wieder, "Aber das muss doch dann ganz lang gedauert haben?" "Ja, schon. Aber wir haben halt gewartet, bis wir dran waren." Ganze Gesetze wurden damals aufgestellt, erinnere ich mich. Murphys Laws genannt. Sie besagten, dass immer die Schlange schneller voranging, an der man gerade nicht anstand.
Wir dagegen, meine Enkelin und ich, wir werfen die Produkte in einen Korb, der automatisch zählt, was hinein fällt. Derzeit ist der Entwicklungsstand mit dem Beamen schon fortgeschritten, aber nur die wirklich abgefahren spacigen (dass ich das als alte Omi noch sage!) Supermärkte in Japan beamen die Sachen schon direkt nach Hause. Da geht aber auch noch einiges schief, was man so hört, und es wird gemunkelt, dass dadurch krebserregende Stoffe entstünden. Was auch sonst.

Später gehen meine Enkelin und ich noch in ein Restaurant. Es ist eines der wenigen, in dem noch Menschen servieren. Tatsächlich war das Service-Personal zwar nicht das erste, aber eines der ersten, das durch Roboter ersetzt wurde. Die Aufgabenbereiche waren verhältnismäßig einfach, auch wenn sich hin und wieder Problematiken aufstellten, die man nicht hatte kommen sehen. Wie schnell Suppe und Wasser aus Teller und Schüssel schwappten, beispielsweise. Oder dass Geschirr unterschiedlich fest angepackt werden durfte, damit es nicht zerbrach. Mein Sohn und seine Frau, die Eltern meiner Enkelin, finden, dass ich da etwas nostalgisch bin. "Es ist doch auch nicht besser, wenn Menschen schuften müssen", argumentieren sie, nicht unstichhaltig, muss ich gestehen.

Dennoch finde ich es einfach heimeliger, so von Mensch zu Mensch. Am Anfang waren noch alle fasziniert gewesen von Horrorvorstellungen, von Robotern, die plötzlich wie schon in futuristischen Filmen, die Weltherrschaft an sich reißen und die Menschheit vernichten wollen. Oder an die man sein Herz verlieren konnte und möglicherweise ja umgekehrt. Tatsächlich waren das aber, wenn man so sagen kann, wildromantische Fantasien um die potenziellen Persönlichkeiten eines Roboters. Wenn man die Teile jetzt hier so sieht, wird man schnell desillusioniert. Da ist so ein freundliches menschliches Lächeln und persönlicher Bezug schon herzerwärmend. Und ich bin eh nicht die einzige, wir sind da richtig aktiv. "Viva la vida!" heißt die Initiative, in der ich mich hin und wieder beteilige.

Ja und sonst.. es hat sich viel geändert aber nicht so viel, wie man manchmal früher geglaubt hat. Der Mensch hatte irgendwie bald das Interesse an zu viel Futuristischem verloren. Er wollte einfach nicht, dass alles Grün weg ging, er wollte diese vollautomatischen grau-weiß-schwarzen und sterilen Riesenstädte nicht. Es blieb vieles wie es war, teilweise wird jetzt sogar extra auf "gute alte Zeiten" getrimmt, das ist seit langem ein großer Hype. Statt des schick-schnittigen Penthouses greifen die vermögenden Leute lieber wieder tief in die Taschen für ein uriges Landhaus im Stil des letzten Jahrhunderts. Ein eigener Bauernhof ist grad auch wieder am Kommen. Allerdings von Robotern betrieben, aber naja, wir müssen unseren Weg halt auch erst finden.

Dann war die Fantasie vorbei und ich saß wieder da. Als 22-Jährige, an einem sonnigen Herbsttag an der Salzach. Es würde hier noch viel Wasser entlang fließen. Gott sei Dank. Denn erleben will ich das alles schon selber.

Montag, 15. Oktober 2012

Jetzt mal unter uns Menschen.

Wo hört die Kompetenz, die ein Mensch im sozialen Alltag aufbringen soll(te), auf und wo fängt das legitime Menscheln an. Das war eine Frage, die ich mir neulich stellen musste, als ich über einen Artikel in einer meiner heiß geliebten Zeitschriften stolperte. Thema "Gesprächsgestaltung". Oder auch: "Nie wieder sprachlos. Wie umgehe ich typische Gesprächsfallen?" Aufgelistet waren Situationen, die tatsächlich, wie ich jetzt einfach mal wage zu behaupten, jeder schon einmal erlebt hat. Die peinliche Stille. Das Fettnäpfchen (ob  sich in Grund und Bode schämend aktiv oder bemüht die verletzte Stelle mit erzwungenem Grinsen verdeckend passiv). Die plötzliche Bemerkung, die einen vollkommen unvorbereitet trifft. Unangenehme Situationen, wenn einer zu viel, zu laut, zu leise, zu klangvoll, zu.... spricht.

Sehr unterhaltsam war, wie man sich wiederfand. Kopfkino an, erlebte ich diverse beschriebene Szenarien noch einmal durch, hatte bei Geschichten sofort einen Mensch mit Haut und Haar vor Augen. Was ich mir gedacht habe. Was er sich wohl gedacht hat. Was ich mir dachte, was er dachte. Und was wir dann gesagt haben. Wenn Menschen aufeinander treffen, entstehen die ulkigsten, merkwürdigsten, furchtbarsten aber auch zauberhaftesten Momente.

Und genau deswegen konnte ich den weiteren Sinn des Artikels nur teils nachvollziehen. Ich verstehe einfach nicht: Warum, wozu, weshalb? Zuletzt fragte ich mich dieses Warumwozuweshalb bei der genauen Analyse der PR-Strategie eines (rein kommerziellen) Produkts. Mir kommt manchmal vor, da wird ein Riesenaffentanz um einen heißen Brei veranstaltet, der letztlich weder satt noch glücklich macht, aber halt existiert, weil die Leute das kaufen. Mit dem Geld kann weiter getanzt werden. Aber das artet hier zu sehr aus und stellt unser ganzes System in Frage, wofür ich mich nicht kompetent halte.

Also will ich mich hüten über den Sinn professioneller Kommunikation in Unternehmen, über PR und über die konstruktive Art, ein Unternehmen auf objektivem Fundament aufrecht zu erhalten und mit Bausteinen der Logik und Pragmatik auf- und auszubauen. Das ist profi, business, kennt man ja.

Aber diese Tipps zur problemfreien Gesprächsgestaltung, "Nie wieder sprachlos", die waren nicht für Profis, nicht für PR und nicht für Business. Die waren für die ganz normalen Gabi und Hans, die auf einer Party sind, sich unterhalten und plötzlich trifft einer den wunden Nerv der anderen. So, dann mal fix rausgerettet. Oder für die blöde Tussi/ den eingebildeten Idioten, der mehr rotznäsige Gemeinheiten austeilt als der Dealer beim Pokern Karten. Die kann man mit einer gekonnten Bemerkung zum Schweigen bringen. Und dann wär da noch die traurige Situation und keiner weiß so genau, was er denn jetzt sagen soll.
Ist doch toll, wenn's da ein Handbuch für "Dummies" gibt? Find ich nich. Ich geh nämlich mal davon aus, dass wir doch letztlich alle Dummies sind. Menschen nämlich, und das ist auch gut so.

Magische Momente entstehen nicht, wenn immer ein Plan besteht. Immer eine perfekte Masche aufgegriffen wird, der schlagfertige (auswendig gelernte) Spruch auf den Lippen liegt und jeder immer souverän und schlau reagiert. Ja sind wir denn Roboter?
Schön wird's oft erst wenn's komisch wird. Wenn's peinlich wird, wird uns rot und warm. Das ist nicht nur unangenehm. Das ist Leben.

Stellen Sie sich zwei Verliebte vor. Stellen Sie sich vor, wie sie stammeln, rumdrucksen und vor Scham versinken, weil sie doch einfach nicht wollen, wie sie nun was von all den tausend purzelnden Gedanken sagen wollen. Bezaubernd, magisch und wunderschön in einem. Und genau das kann Menscheln sein. Also bitte weg mit den Plänen. Danke.

Sonntag, 7. Oktober 2012

Wie die Bravo-CD das Leben erleichterte

Neulich wie ich bei der Post in der Warteschlange stand ließ ich den Blick über das kleine überschaubare Sortiment an Filmen und CDs gleiten und blieb hängen an etwas, das ich wirklich schon lange nicht mehr bewusst gesehen hatte. Die aktuelle Bravo-CD. Hachja, die Bravo, Volume dreihundertmillionenfünfhundertsechzig. Kauft die eigentlich noch wer?, fragte ich mich verwundert. In Zeiten von iTunes Store und Musikdownloads, ob legaler oder illegalerweise sei jetzt mal dahin gestellt, scheint eine Zusammenfassung der aktuell (angeblich) besten Titel überflüssig. Ja geradezu unselbstständig und uncool, ist es doch genau unsere Individualität das, worauf wir heutzutage furchtbar stolz sind. Es ist das allerwichtigste, besonders zu sein in einer Welt wo bald mal jeder theoretisch alles kann. Da lässt es sich gar nicht genug an geheimen Indie-Musiktipps von bisher unbekannten und aufgrund ihrer Brandaktualität noch unter Verschluss gehaltenen schwedischen Bands aus dem Ärmel schütteln. Wer will schon Einheitsbrei, wenn man allen um einen rum beweisen kann, was für ein ausgefuchster Kenner mit delikatestem Geschmack man doch ist. Ein revolutionärer Andersdenker, der es wirklich nicht nötig hat, sich eine Sammlung der besten Lieder kaufen zu müssen. Viel mehr könnte er sie ERSTELLEN.

Zugegebenermaßen neige ich auch hier zur Überzeichnung und freilich sind wohl die meisten Hörer mit ganz individuellem Geschmack einfach nur Menschen, die keine Lust auf das haben, was mal eben frisch aus Amerika als "neuer Hit" versucht wird, zu verkaufen. Sie nehmen sich die Möglichkeiten der heutigen Zeit mit gutem Recht und stellen sich aus ihren Lieblingen eine Playlist zusammen, die ihnen nicht nur gefällt, sondern in der sie sich wohl und zuhause fühlen. Nicht jeder, der individuell sein möchte, tut das um es nach außen hin zu tragen. Es scheint also für beide, die Hipster und die Freidenker, von Vorteil zu sein, wie das heutzutage läuft mit dem Individualismus der Musikauswahl und dem Abkehr von der Bravo-CD.


Noch immer befand ich mich in besagter Post, beim Anblick der Bravo-CD ins Grübeln geraten. Urplötzlich erschreckte mich ein kleines Stimmchen, es kam von irgendwo. "Aber manchmal", wisperte es leise und ein wenig schüchtern, "manchmal wär's doch auch ganz nett. So eine Bravo-Hit Kollektion." Und da merkte ich, dass es für mich gedanklich schon lange nicht mehr nur um Musik ging. Es ging um Leben, Studieren, Arbeiten, Familie, Reisen, Daheimbleiben, Tun und Nichtstun. Tatsächlich will doch jetzt eigentlich jeder und überall zu jeder Zeit individuell sein. Je mehr Leute Yoga machen, biologisch und ökologisch denken und handeln, mit Rucksäcken verreisen, sich sozial engagieren oder aber auch steile Karrieren erklimmen und Doktortitel einsahnen, desto weniger scheint noch Platz da zu sein, um sich was eigenes zu finden. Alle Wege, die früher als individuell galten, wurden schon eingeschlagen. Von jeder Seite kommen munter Empfehlungen, es ihnen nachzutun. Individualität ist kein Luxusgut mehr, es ist Alltag. Hektisch versucht man, mitzuziehen, möglichst einen ganz besonderen, eben seinen ganz eigenen Weg zu gehen. Ob Rucksackreise nach Australien, exotisches Auslandspraktikum in Peru oder auch nur freiwilliges soziales Jahr im eigenen Heimatsdorf. Da soll sich noch jemand orientieren, im riesigen Meeresstrudel der Möglichkeiten.

Die Bravo-CD hat vielleicht nicht immer die beste Musik geboten, aber eins schon: Einen Rettungsanker. Zumindest was Musik betraf. Man kaufte sie sich, hörte sich durch, war auf dem Stand. Konnte mitreden. Der Grundstock war solide, den Rest konnte man sich ja dann dazu finden. Man konnte sich irgendwie darauf verlassen, dass auch die anderen sie sich kauften und somit hatte man ein Richtmaß.

Wie wär's mit sowas für's Leben? Ein Basic, mit dem man auf jeden Fall mal alles richtig macht? Egal ob man heiratet und Kinder kriegt, oder studiert und Karriere macht, oder auf alles scheißt und künftig nur noch aus dem eigenen Rucksack lebt und unter Brücken schläft: Die Zeiten eines unumstrittenes Lebensmodells, an das man sich mal eben halten kann, sind passé.
Da wär so ne Bravo CD schon mal gut, nur so um sicher zu gehen. Letztlich kann man sie ja dann auch im Regal liegen lassen. Einfach nur froh, zu wissen, dass es sie theoretisch gibt.

Ich verließ die Post nachdenklich, ohne die CD. Aber ich schmiss zuhause das Radio an. Mal hören, was de anderen so hören. Letztlich ist es ja ein Geschenk, begriff ich.

Inspiration statt Passform.

Dienstag, 2. Oktober 2012

Strudel der Erinnerungen

"WAS? Jeden Tag???" So oder so ähnlich lauten häufige Reaktionen, wenn ich nach meinem liebsten Hobby gefragt werde: Dem Laufen. Gepaart mit wahlweise gen Boden klappenden Unterkiefern oder aber irritiert-skeptisch hochgezogenen Augenbrauen (mit größtem Unterhaltungswert wenn beides zusammen), können viele meine Treue, Liebe und manchmal auch Hartnäckigkeit nicht verstehen. Das wiederum kann ich gut verstehen. Wenn ich genau darüber nachdenke, dann ist es eigentlich wirklich irr. Rein objektiv betrachtet ziehe ich Morgen für Morgen meine Laufschuhe an, galoppiere von dannen oder aber trabe friedlich meines Weges an der Salzach. Komme wieder heim, ein bisschen durchgeschwitzter und um einiges fröhlicher. 

Doch subjektiv und emotional ist es (sorry, das kann wohl keiner mehr hören, aber dennoch) ein tiefer Schnaufer für die Seele. Eine Art Ventil über das überflüssige Wut, Trauer, Angst, Euphorie und was auch immer hinaus gelassen und in Form von spürbarer Kraft "abgerannt" werden können. Auch Klischees wie das Zu-sich-kommen, Gedanken-freimachen etcetera etcetera muss ich an dieser Stelle leider Gottes (oder auch zum Glück) ebenso bestätigen.

Ein Phänomen, das ich beim Laufen jedoch für mich entdeckt habe, kannte ich als einschlägiges "Hab-ich-auch-schon-gehört" so noch nicht: Es wirkt wie ein Fotoapparat bei einem spektakulären Anblick oder anderem tollen Motiv vor der Linse, wie die Stopptaste auf der Fernbedienung. Es konserviert. Denn obwohl man läuft, sich schnell bewegt, bleibt die Zeit stehen. Während mein Körper arbeitet, ganz von selber weiß, was er tut, hat mein Kopf Zeit. Zeit, sich voll und ganz in den vom Körper ausgeschütteten Glückshormonen und der sprudelnden Kraft und Wärme mit all den Ereignissen der letzten Tage auseinanderzusetzen. Beine und Arme strampeln und wippen, doch das Denkkasterl kommt zu klarer Ruhe. Der Moment steht still, wie all die Erlebnisse an einem vorbeiziehen und noch einmal durchlebt werden können. Das Gespräch mit meinem besten Freund, spontane Inspirationen, Gefühle, Gedanken, dieser Geruch, der mich im Moment x am Tag y an einen uralten Ort erinnert hat. Menschen, Situationen, seltsame Begebenheiten, Essen, Bilder, Farben, Stimmungen. Vor meiner Nase ist das fließende Wasser der Salzach, doch vor Augen habe ich scheinbar freie Auswahl im Strudel meiner Erinnerungen.

Nennt man das "Verarbeiten"? Ich weiß nur: Es tut verdammt gut. Egal ob man das wie ich beim Laufen (und Spazieren) tut oder lieber auf einer Decke im Park: Es lohnt sich, alles nochmal durch den Kopf rauschen zu lassen. Für mich bedeutet es ein Geschenk. Der Reichtum, bewusst zu leben.