Back to the Roots: "Nur das Nötigste"
Wie kommt es denn überhaupt, dass wir soviel Zeug haben? Denken wir mal an Urvölker zurück. Ich habe zwar weder Anthropologie oder Ethnologie studiert, dennoch glaube ich zu wissen: Sie hatten nicht besonders viel. Nicht (nur) aus Armutsgründen, sondern weil es keinen Grund dafür gab, viel zu haben. Was sie brauchten war Essen, (mehr oder weniger) Behausungen und Materialien aus der Natur, aus denen sie Schmuck, Werkzeuge, Instrumente und ähnliches fertigten. Im Film "Die Götter müssen verrückt sein" wird etwas freundlich auf die Schippe genommen, was ein denkbar schöner Ansatz ist: Keiner hat was "eigenes". Die Menschen teilen alles, was bringt schon Privatbesitz?Ganz so weit möchte ich aber wirklich nicht gehen, denn auch mir bereitet der Gedanke eher Magenschmerzen, dass es nicht zumindest ein paar Dinge gibt, die MIR gehören, mir ganz allein.
Es geht eher um die Menge der Sachen, die man so in seinem Zimmer aufbewahrt (und teilweise vor sich hinstauben lässt). Nur mal so eine Gedankenspielerei: Wie wäre ein Leben mit nur den wirklich notwendigen Sachen, so wie bei Urvölkern?
Für uns wäre das wie, wenn jemand in seiner Wohnung folgendes hätte: ein Shampoo für Haare und Körper, einen Laptop für die Arbeit, eine Küche mit dem nötigsten zur Lebensmittelaufbereitung, ene Bad mit Dusche und Klo und ein Bett. Sonst nichts. Vielleicht noch ein paar Möbel zur Bequemlichkeit und maximal ein kleiner Schrank, um das wenige Hab und Gut in Form von Büchern und ähnlichem, das sich bequem in eine kleine Kiste packen ließe, aufzubewahren. Für Frauen gäbe es vielleicht noch EIN parfum, oder genau die Flasche Nagellack, die sie gerade benutzt. Es geht nicht um mangelnde Hygiene oder Unterlassen von Körperpflege, auch nicht um die Eingrenzung tatsächlich ausgeführter Hobbys. Viel mehr der Grundsatz: Was nicht binnen zwei Wochen mindestens einmal in die Hand genommen (und gebraucht wurde, um Tricktätern vorzubeugen), kommt weg.
Besitz: Segen oder Fluch?
So schön die Vorstellung auch sein kann, ohne beschwerenden unnötigen Besetz einfach frei wie ein Vogel zu sein, so läuft das bei uns einfach nicht mehr ganz.Mir geht es eher um die Menge der Sachen.
Denn auch wenn so ein Privatbesitz schön ist: Er kann ungemein belasten. Fast scheint es, als ob die Fülle und das Chaos in Zimmer, Kleiderschrank und auf Schreibtisch eine Art Metapher oder auch Indikator für das selbe Chaos im Hirn und im Leben steht. Sehr viel Zeug, keine Ahnung wie viel, und keine Ahnung was eigentlich genau alles.
Das führt unter anderem zu dem Phänomen: "Was soll ich nur anziehen?" (das meines Erachtens keineswegs rein feminin geprägt ist.) Grund für diese Frage ist sogut wie nie, dass sich tatsächlich gähnende Leere im Kleiderschrank befindet. Nein, eher das Gegenteil: er platzt nahezu vor Teilen. Unglücklicherweise vor Teilen, die wir aber auch gar nicht mehr anziehen wollen. Weil wir uns dran satt gesehen haben. Weil das da links an der Seite so ein nicht-rausschneidbares Ettiket hat, das furchtbar kratzt. Weil es in einer spontanen "Jetzt-bin-ich-mal-richtig-abgefreakt"-Phase gekauft wurde, aufgrund seiner Buntheit und Andersartigkeit uns aber das eine Mal, als wir es getragen haben, soviel Unwohlsein beschert hat, dass wir richtig ins Schwitzen kamen. Als dann auch noch nicht ein, nicht zwei, sondern drei Menschen unser Outfit begutachtet haben, war unser Selbstwertgefühl am Boden und uns klar: "Das Teil ziehe ich nie wieder an".
Ja es gibt viele Gründe, wieso ein Kleidungsstück zwar theoretisch toll ist und wir genau wissen, wieso wir es damals gekauft haben, aber letztlich doch nie bei der tatsächlichen Wahl zum Zuge kommt.
Und warum haben wir diese Teile?
Weil wir uns (oft mit emotionaler Verbindung) an den Moment erinnern, als wir es kauften. Auch Gedanken wie "Ach irgendwann trag ich das bestimmt mal" oder "man weiß nie, wo ich das noch brauchen könnte!" liegen bei dem Ganzen oft nicht fern.
Dieses "Man weiß nie" bezieht sich letztlich auf alles, was man so zwar im Alltag nie braucht, aber auch nicht wegwerfen möchte. Alte Dokumente (mal abgesehen jetzt von Geburtsurkunde, Diplom und/oder Mietvertrag), Bücher und CDs, die noch vor der Jahrtausendwende erstanden wurde und vieles mehr. Lebensmittel machen es einem vergleichsweise einfach: Sie verfallen einfach. Dann kann man sie nicht mehr brauchen und nur ein Freak und/oder Sammler würde sie behalten.
Doch was ist mit der Bravo Hits 98? Genau erinnert man sich, wie man damals dazu lauthals bei Papa im Auto mitsang oder im Zimmer voll abgegrooved hat. Und die gesamte Reihe der Thienemann-Bücher, die man als junges Mädl verschlungen hat (bei Jungs vielleicht Dragon Ball Z Mangas. Oder so.)
Man fürchtet sich vor dem finalen Gedanken "ach hätte ich es doch behalten". Vor Verlust und Vermissen.
Mein Fazit
Ich habe mein Fazit folgendermaßen für mich gezogen: Alles, was zum ständigen Gebrauch gedacht ist, aber (wenn man ehrlich zu sich ist) nie verwendet wird, sprich pseudo-kuschelige Pullis, zu langweilige T-Shirts, zu abgefreakte Kleider (in einer seltsamen Anwandlung von Experimentierfreudigkeit ersteigert), der Gameboy Colour (man hat ja bereits den Advanced SP), der DVD-Player (Laptop-Laufwerke sind was feines) und zu große oder zu kleine Handtaschen: hinfort und weg damit. Nicht in die Tonne, sondern an jemanden, der sich darüber freut und es besser gebrauchen kann.Doch es gibt Dinge, die sich einen Platz in meinem Herzen erobert haben und die ich nicht freiwillig herausrücke, bei keiner noch so gründlichen Stöberaktion: Meine Hanni-und-Nanni-Bücher, meine (total zerfetzte und garantiert nicht mehr verwendbare) Australientasche, das wunderhübsche Kleid (das ich zwar quasi nie anziehen kann, weil es nahezu immer overdressed ist) und die 6 CDs meiner Kindheit. Und noch ein bisschen mehr.
Bis zur nächsten Stöberungsaktion dann, wo sich erneut die Frage stellen wird:
Brauche ich das wirklich?
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