Obgleich sie mir rein optisch ähnelten, fühlte ich mich, als wäre ich eine Aussätzige inmitten dieser Menschenmenge, die sich in ihrem Kosmos ganz selbstverständlich bewegte und fest ritualisierte Verhaltensweisen verfolgte, während ich nur hilflos zusehen und rätseln konnte. Es war weniger, das ich nicht verstand, was und warum sie es taten, es war mehr, dass ich nicht nachvollziehen konnte, was sie dachten, wie ihr Weltbild aussah, ihre Interessen. Ist man daheim, an dem Ort, an dem man geboren wurde und aufgewachsen ist, kennen die Menschen um dich herum Dinge wie beispielsweise ein schlicht und ergreifendes Leberwurstbrot. Oder die Serie Tatort. Oder Sprichwörter, die uns unser aller Mütter immer wieder eingebläut haben, in eben unserer Sprache, unserem Dialekt, unserer Denkensweise. Kurzum: Man weiß, wie man tickt.
Anders hier. Wie könnte ich mich auch gleichsam fühlen mit Menschen, die lappriges Toast "Whole-Grain Bread" nannten und noch nie echtes dunkles Brot mit ernst zu nehmender Konsistenz geschmeckt hatten? Oder, um ein nicht so herablassend klingendes Beispiel zu nennen, die die Texte von "Wir sind Helden" oder den "Ärzten" weder kannten noch verstehen konnten? Heimweh schlich sich ein, wie ich auf diesem Jahrmarkt stand und mir Fett am Stiel aus den Händen rissen ließ. Es spielte "Surfin USA" in Endlosschleife. Ja, das war Volksfest in Australien.
Dann kamen, Jahre später, die thailändischen Märkte. Ich schlenderte über sie hinweg und natürlich war das wieder ein großes Gefühl der unheimlich spannenden Fremde. Die Gerüche, abwechselnd nach gebratenen Köstlichkeiten, dann wieder nach schockierenden Dämpfen, die Hitze, die Luftfeuchtigkeit. Die Menschen, wie sie so gar anders waren. Nicht nur kleiner, auch leiser, vielleicht auch lustiger, aber das auf ihre Weise. Geselliger. Ebenfalls mit einer großen Liebe zum Essen, aber auf eine sehr kollektivistische Art und Weise. Nicht mit einer Riesenwurst am Stil sondern mit einem großen Becher Nudeln und Huhn, aus dem sie gemeinsam mit Gabeln pickten (nicht mit Stäbchen!). Auch hier habe ich Jahrmarkt-ähnliches Utensil gesehen. So etwas wie kleine Fahrbahnen oder Süßwarenstände für die Kleinen.
Auch hier wieder faszinierend: Ich konnte nicht nachvollziehen, was im Inneren dieser Menschen vorging. Ich spiele auf keine konkrete Obstrusität oder ähnliches an, ich meine viel mehr wieder dieses Alltags-Leberwurschtbrot-Denken. Was war es, was für diese so fremden Menschen das normale Leben ausmachte? Was war ihre Version von "Tatort" und "Wir sind Helden"? Das, was ich aus den Lautsprechern dudeln hörte, konnte ich nicht nach seiner Authenzität beurteilen (da gerne mal Touristenvorlieben in das Geschehen integriert werden).
Was hatte ich mich nicht fremd gefühlt. Inspiriert, irritiert, verängstigt, begeistert, alles auf einmal. So, und jetzt war ich heute auf dem Lieferinger Dorffest, um für die Zeitung Bericht zu erstatten. Liefering ist ein Stadtteil von Salzburg, seinen Titel als Gemeinde musste es schon vor einer Weile abtreten, sehr zum Leidwesen der Anwohner. Sie lieben ihr "Dorf", den Zusammenhalt, die Vereine, "das Gefühl, wenn man am Sonntag zum Hof geht um sich Milch beim Bauer nebenan zu kaufen". Soviel zum Setting. Hier war also das Dorffest, das mir eigentlich sehr bekannt vorkam. Volksfeste, die sind mir als gebürtige Münchnerin freilich ein Begriff. Wie man so zamsitzt, Bier trinkt, irgendwann auf den Bänken tanzt. Oder Fahrgeschäfte ausprobiert, die man lieber nicht gefahren wäre, Steckerlfisch schlemmt und einmal im Jahr Volksmusik erträgt.
Und jetzt das. Ich war mittendrin, tat sogar, als wär ich einer von ihnen und doch kam da ein seltsames Gefühl in mir hoch. Ich kannte es, gut sogar. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Australische Jahrmärkte, thailändische Basare. Menschen mit Gedankengängen und Verhaltensweisen, die mich fremdeln ließen, und das auch ohne einen über zehnstündigen Flug hinter mich gebracht zu haben. Denn wie ich hier gewisse Gesprächsverläufe unwillentlich mitanhörte, diverse Menschen in diversen Outfits begutachten konnte und mich tatsächlich wie mitten auf dem Land fühlte, wurde mir klar, dass ich mich im Alltag selten aus meinem akademischen Umkreis hinaus bewegte. Arrogant soll das nicht klingen, denn dafür müsste ich erst beurteilen können, ob ein hoher Bildungsgrad samt Arroganz oder eine gewisse "Bäuerlichkeit" samt Herzlichkeit besser ist. Kann ich nicht. Mir wurde auch wieder bewusst, wieviele kulturelle Eigenheiten wir eigentlich haben. Das, was für uns buddhistische Schreine, Drachenskulpturen und Kimonos sind, sind für andere Bierbänke, Dirndl und Blechbläser-"Musi". Aber irgendwie sah ich grad auch letztere aus den Augen eines Fremden, der sich darüber nur verwundert und erstaunt den Kopf kratzen konnte. Mir kam das alles reichlich strange vor. Vielleicht, weil ich zuvor versucht hatte, mich in die Australier, später in die Thai hineinzudenken und so immer mehr ein Gefühl für die eigene Identität und Wurzeln verloren habe. Das wäre allerdings ein ganz anderes Thema.
Das Ende vom Lied jedenfalls: Ich spielte mit, lachte mit, sprach im Dialekt. Hatte nebst hoher Anstrengung (es war sehr sehr heiß) auch ziemlichen Spaß. Und wie ich heimging, die Salzach entlang, sah ich auf das in der Sonne glitzernde Wasser und fühlte mich wieder angekommen. Von einer sehr interessanten Reise in ein sehr fremdes Land. Sieben Kilometer weiter von meiner Wohnung.
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