Dienstag, 13. August 2013

Es war einmal ein Mädchen

Es war einmal ein Mädchen, das kam in eine fremde Stadt. Die Zeit hinter ihr war kalt und grau, ließ sie noch immer innerlich frösteln. Die Augen noch etwas schal und benommen in den Gliedern, blinzelte sie, als sich die ersten Lichtstrahlen durch den Staub kämpften. Es waren verworrene Pfade, die sie in besagte Stadt geführten hatten. Es hatte gedauert, bis sie ihn gefunden hatte, diesen Ort. Doch kaum war sie da, wurden ihre Augen mit jedem Tag klarer, so dass sie eines Tages tatsächlich die ganze Schönheit dieses magischen Ortes erfassen konnte, an dem sie über glückliche Fügungen gestrandet war.

Es vergingen Tage, Wochen, Monate, schließlich fast ein Jahr, bevor das Mädchen sein Glück wirklich fassen konnte. Zunächst hätte sie jeden Augenblick damit gerechnet, jemand könnte des Weges daherkommen und ihr alles wieder nehmen. Es hätte sich alles als Missverständnis, als Irrtum herausstellen können, doch die falschen Lottozahlen. Vielen Dank, dass Sie uns beehrt haben, und nun zurück wo du hergekommen bist. Es war aber auch einfach zu gut, um wahr zu sein. Diese Stadt gab ihr, mehr als gute Luft zum Atmen und ein Dach über dem Kopf, als wertvollstes Gut den Raum für ihre Fantasie. Irgendwann glaubte sie es doch.


Stundenlang spazierte sie an diesem Fluss. Ein besonderer Mensch war es, der ihr auch bald die verwinkeltsten Wege hinauf in ihre später heißgeliebten Berge zeigen sollte. Es waren die offensichtlichen Schönheiten der Gärten, Schlösser und historisch-mondänen Gebäuden, doch es waren für sie besonders die seltsamen Eindrücke, die zählten. Das im Neonlicht schimmernde Heizkraftwerk bei Nacht. Die Lässigkeit der weitaus weniger schicken Stadtviertel und der Geruch nach Essen und Leben dort in der Luft. Das Mädchen dankte Gott und allen potenziell verantwortlichen Instanzen, die ihm dieses wilde Glück im Herzen erlaubten.

Es folgte auf die erste ekstatische Euphorie nun eine lange Zeit der wohligen Gemütlichkeit. Eine tiefe Ruhe, die nun endlich einkehren konnte nach heftigen Stürmen und reißenden Wogen, die sie durchgeschüttelt hatten. Doch, wer lebt, der weiß: Das Leben kennt keine Happy Ends. Nach glücklichen Passagen setzt es sich zwangsläufig fort und kann rein statistisch nicht durchwegs positiv bleiben. So konnte auch die Geschichte des Mädchens hier nicht enden.
In seiner neu gewonnenen Selbstsicherheit wurde es seines Hafens bald überdrüssig. Es hatte sich Routine eingebürgert, ein allzu enger Rahmen gefestigt, so dass die einst als Schatz gewonnene Gleichmäßigkeit keine Gabe der Stabilität sondern nur mehr Unzulänglichkeit zu sein schien. Eine namenlose Panik, Entscheidendes, Spannendes im ruhigen Gang des trivialen Lebens zu verpassen, ergriff das Mädchen. Obgleich es sich geschworen hatte, dies nie zu tun, war es eines Tages doch so weit: Sie wachte auf, und wusste ihr Glück nicht mehr zu schätzen. Wie ein allzu liebender Partner wurde das süße Leben ihr lästig. Mit Feuereifer begann sie, neue Pläne zu schmieden, um dem Hafen zu entkommen. Heute in eine nahe gelegene Stadt, morgen schon auf einem anderen Kontinent, katapultierte sie sich gedanklich und mit Hilfe von Träumen und Internetrecherchen jeden Tag in ein anderes Leben. 

Nach drei Jahren kehrte das Mädchen ihrer Liebesstadt den Rücken zu und war sich sicher, die Zeit des Aufbruchs wäre gekommen. Das Boot stach in See gen unbekannte Zukunft und jeden Zweifel schob sie beiseite. Sie ahnte nicht, was sie erwartete.

Die Leere kam nicht gleich, aber sie kam. Das Mädchen verlor seine Weisen. Die Art, wie es dachte, glücklich war, liebte, schien nun unerreichbar. Das Glück überzogen von einer Plastikplane, durch die man nur schauen, nicht aber greifen konnte. Die Zeit, die kam, war düster und lehrreich zugleich. Zwischen Überlebensinstinkt und Hoffnungslosigkeit, bitterer Sehnsucht und Wehmut, schließlich Einsicht. Ein geliebtes Leben schien verloren.


Man darf auch hier nur von einem einstweiligen Happy End sprechen. Doch ich darf verraten: Das Mädchen kam zurück. Es musste Hürden überwinden. Wachsen, einsehen, verzichten und zulassen. Und ich darf verraten: Es hatte sich alles gelohnt, vielleicht für ihr ganzes Leben, mit Sicherheit jedoch für einen einzigen Augenblick.

Der, als sie aus dem Zug stieg und das Licht ihrer Stadt sie anstrahlte. Willkommen daheim.

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