Sonntag, 20. Juli 2014

Von Tinder, Part-Time-Beziehungen und der fraulichen Unabhängigkeit

Wer mich kennt, kennt auch meine Leidenschaft für Frauenzeitschriften. Nicht etwa, weil ich sie für allzeitlich wissenschaftlich korrekte Literatur halte, nicht einmal um mir Anregungen für die neueste Nagellackierung oder Wimpern-und-Wangen-Beschminkung zu beschaffen (ich bevorzuge beides nun einmal gerne "nackt"). Sondern weil ich sie für - mal mehr, mal weniger - aufschlussreiche Stilblüten der heutigen Zeit und zudem gute Unterhaltung während des Kauens des Mittagessens halte. Zeitschriften wie die Brigitte gehören in meinen Augen ohnehin in eine vollkommen andere Schublade wie Joy, Closer oder InTouch. Aber das ist wohl ein anderes Kapitel.

Jedenfalls glaube ich, dort einen deutlichen Trend ausmachen zu können. Nicht die aktuelle Mode betreffend sondern den modernen Liebestrend. Waren noch vor Jahren und auch jetzt noch hin und wieder, jedoch mit spürbar sinkender Frequenz, Ratschläge für das Führen einer harmonischen und gleichberechtigten Beziehung gegeben, finden sich immer mehr Tipps, die in eine ganz andere Richtung zielen. Tinder (DIE Flirt-App für alle, die gerne vor Ort nicht mehr als eine Nacht wünschen), die Sinnlosigkeit oder gar Depressionsgarantie der Monogamie und, erst frisch heute konsumiert, die "Part-Time-Beziehung". Auch noch ausgestattet mit einem schicken Anglizismus scheint dies (laut Artikel) das perfekte Partnerschaftsmodell der heutigen Zeit zu sein. Weil man keine Partner mehr sein muss.

Es sei doch wahnsinnig praktisch. Statt sich den ganzen Tag mit Peter, Hans oder Max (schrägstrich Susi, Andrea oder Sibylle) herumschlagen und den gesamten Alltag auch noch um diese Person herum organisieren zu müssen, besorgt man sich einfach einen Teilzeit-Peter/Hans/Max.... Sprich: Man verabredet sich hin und wieder, hat natürlich Sex (denn dieser ist ja gesund, regt den Stoffwechsel an und macht die Haut glatt, wieder ein paar teure Pflegeprodukte und Chiasamen gespart!) in rauen Mengen und bewahrt sich aber - GOTT SEI DANK - eines: Die absolute erklärte Unabhängigkeit.

Das alles erinnert mich stark an das Feminismus-Seminar (eigentlich hieß es anders, aber es belief sich letzten Endes darauf), das ich im letzten Semester belegte. Wir Frauen müssten uns dringend Raum vor den barbarischen und niederträchtigen Mannsbildern schaffen. Denen sei nicht zu trauen. Ganz nach einem der wohl bekanntesten Ärzte-Songs der Welt: "Und falls du doch den Fehler machst und dir nen Ehemann anlachst..." Dabei muss es laut der aktuellen Theorie, der sich fast alle Frauenzeitschriften nun einig zu sein scheinen, gar kein Ehemann sein. Es reicht schon eine erklärte feste Beziehung. Die Katastrophe bereits im vollen Laufe, teilt man sich gar bereits die Wohnung.

Single-Frauen sind schlanker, heißt es in der Zeitschrift, deren Rezeption mich zu diesem Blogeintrag anregte. Nicht nur das, sie sind gesünder, beruflich erfolgreicher. Wahrscheinlich auch noch klüger, schöner und insgesamt toller und begehrenswerter. Der Artikel ließ Raum für jedes weitere hinzugefügte schillernde Adjektiv im Komparativ. Sei frau erstmal den Typen los, der einen Tag und Nacht mit seinen lächerlichen Bedürfnissen stresse, schaffe sie absolut alles, was sie auch nur begehre. Und habe endlich genug Zeit für die lustigen Cocktail- und Sex-and-the-City-Abende mit Petra, Anna und Franzi. Yey.

Ich muss mich jetzt wirklich stark am Kopf kratzen. Ich fühle mich angesichts meiner nackten Gesichtshaut, Wimpern und Nägeln sowie Abneigung gegenüber jeder Art von Schmuck an meiner Haut immer weniger der Gattung Frau zugehörig. Denn ganz ehrlich: Ich hatte das doch. Ich war jahrelang single (selbst in einer vorübergehenden Partnerschaft habe ich es mir mit meiner Bedachtheit auf ein unabhängiges Dasein wie ein Single eingerichtet), lebte in meiner eigenen Bude, ließ mich auf nichts und niemanden ein, auf den/das ich keinen Bock hatte. Ich bekam immer mehr Aufträge als Texterin, schloss meinen Bachelor der Kommunikationswissenschaft ab und hatte dicke Armmuckis, da ich alle meine Einkaufstüten selber schleppte. Ich hatte Freundinnen und Freunde, aber letztlich arbeitete ich am Abend lieber bis spät in die Nacht hinein, verbrachte die restliche Zeit mit Yoga, Laufen und Schwimmen.

Was war ich nicht unabhängig. Obendrein hatte ich noch Teilzeit-Partner im Sinne von Dates hin und wieder mit Typen. Ich habe also irgendwo das Idealbild dieser Zeitschriften gelebt. Und nun kommt der Oberhammer, und es tut mir Leid, liebe myself, Brigitte, Freundin und co: Ich bin schwach geworden.

Heute lebe ich mit meinem Freund zusammen, mit dem ich, bitte verzeiht mir, überaus glücklich bin. So oft wie ich von nörgelnden Partnern lese, die ihre Freundin nötigen, endlich mit dem Arbeiten aufzuhören (ohne zu fragen, ob es nicht rein zufällig einfach für den morgigen Tag notwendig sei), die nicht bügeln können oder sich weigern, zu kochen, muss ich mich ehrlich fragen: Was haben die denn bitte für Typen? Tut mir Leid, aber ich weiß echt nicht, wo man den heutzutage noch herkriegt. Vielleicht richten sich die Artikel ja an die Ehefrauen, die Mitte des letzten Jahrhunderts geheiratet haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass die sich noch von ihren (offenbar absolut nichtsnutzigen) Männern trennen, geht, haben sie es denn jetzt noch nicht getan, doch wahrscheinlich gen null.

Die jungen Männer (20-40), die ich kenne, geben der Frau die Chance, aufzuhören, Feminismus zu zelebrieren. Es mag ja noch Ungleichheiten in der beruflichen Einkommensverteilungen geben. Doch privat fangen die Kerle schon fast an zu nerven, wie sie alltäglich ihre neuesten Kochkreationen auf Facebook posten. Von meinem Herzallerliebsten und mir, bin ich es, die nicht bügeln, nicht kochen kann und die sich VON IHM die Wasch- und Spülmaschine erklären lassen musste. Er kann das alles und macht es ohne zu Murren. Während ich, sobald ich mal die Bude sauge, wie ein hechelnd-buhlender Labrador am liebsten mindestens eine Stunde pro Saugminute gestreichelt und gelobt werden möchte. Ja, das ist ein großes Geständnis, aber ist wohl notwendig, angesichts dessen, was ich nun immer häufiger lese.

Ok ich gebe zu, es gibt Passagen, in denen es auch mal schwierig werden kann. So sträubte sich mein Herzallerliebster zunächst tierisch (oder eben nicht) einem Kätzchen in unserer Wohnung ein Heim zu geben. Zu laut, zu stinkend, zu haarig, so seine Argumente. Ich möchte den Blick also nicht verklären, dass es tatsächlich DIE Beziehung lebe, in der es keine Widersprüchlichkeiten und keine auseinander driftenden Meinungen gibt. Ganz im Gegenteil. Letztlich zockelte besagter Liebster jedoch eine Stunde lang die Bundesstraße mit mir entlang und fuhr mich zu meinem erhofften und tiefst erwünschten Schicksal. Im Arm nahm ich mein neugewonnenes gefühlte zehn Gramm wiegendes Katzenkleinkindglück selig mit auf die Reise gen Zukunft, und eine Stunde ging es wieder zurück. Seitdem ist es für mich eines der schönsten Dinge, mit ihm gemeinsam stundenlang dem Kätzchen beim Spielen zuzuschauen. Wenn er dann so grinsen und lachen muss wie ich, glaube ich, dass mein Herz vor lauter Liebe überschäumen muss. Klingt kitschig, ist aber so.

Zum Thema Part-Time-Beziehung: Nein. Einfach nur nein. Also nicht, dass ich es irgendwem verbieten würde, um Gottes Willen. Darf ja wirklich jeder lieben und leben wie er möchte. Aber ich kann nur sagen: Erst gestern war ich mit meinem Herzallerliebsten bei seiner Familie und habe es genossen, mich absolut wohl, glücklich und vor allem dazugehörig zu fühlen. Ich hatte all das, das Einzelkämpfen, das Nur-Freundschaften, absolut-frei-und-unabhängig-sein. Auch das Kompromisslose, was mir vielleicht manchmal noch am meisten fehlt, ist angesichts dessen, was ich seit dem Zusammenziehen mit IHM dazu gewonnen habe, wirklich nicht der Rede wert.

Es gibt, so finde ich, und ziehe mich auch gleich verschämt in die Ecke der Altmodischen und Langweiligen, nichts schöneres, als am Abend neben dem selben geliebten Gesicht und Körper zu liegen und am nächsten Morgen wieder aufzuwachen um sein erstes Grummeln und Blinzeln zu vernehmen, sobald man ihn wach küsst. Immer wieder zusammen nach Lösungen zu streben und in die selben Augen zu schauen, die mit der Zeit immer mehr und mehr Geschichten mit einem teilen. Irgendwann so viele Anekdoten zu haben, das man sie nicht mehr aussprechen muss sondern angesichts einer Situation lauthals lachen muss, ohne dass irgendwer im Umkreis auch nur einen blassen Schimmer hat, was denn nun bitte so komisch sein soll. Die liebevollen Rituale, die vielleicht kleiner weil doch recht anstrengend werden. Die liebevollen Blicke, die zwar seltener aber dafür tiefer werden. Es ist, zugegebenermaßen, nicht das Dauerprogramm Romantik, das man sich mit einer Langzeit-Beziehung bucht. Aber es ist die doppelte, dreifache, hundertfache Portion an Vertrauen und geteiltem Glück angesichts der gemeinsam gesammelten Erfahrungen und der Höhle, die man sich gemeinsam geschaffen hat.

Dabei geht es nicht nur um die Substanz, die eine solche Beziehung im Vergleich zu zwei-mal-die-Woche-hopp-und-Sex-Part-Time in sich trägt. Es geht um das reine Gefühl: Schnurr, wie schön, das ist mein Hafen. Von dem aus kann ich steuern, wohin ich will, zu den vielen Ufern der Karrieremöglichkeit, der Seminare und Projekte meines Studiums, Freundinnen und Freunden, der Adoption einer Mietzekatze, sportliche Herausforderungen, und wo immer es mich auch hintreiben mag. Denn mein Freund lässt mich. Und ich hoffe für alle die anderen Mädchen und Frauen da draußen, dass es doch noch ein paar Exemplare von ihm gibt.

Denn mit dem lohnt es sich. Und ja ich spreche es aus: Gemeinsam alt zu werden. Ganz ohne Teil-Zeit-Peter und angeblich erfolgreicher Single-Karriere. Hau!

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