Mittwoch, 30. Juli 2014

Das was wirklich weh tut

Das Schlimmste ist eigentlich nie dann, wenn es passiert. Sondern das danach. Denn gerade wenn etwas passiert, hält man es ohnehin für schier unmöglich, dass genau das gerade passiert. Hört sich obskur an?  Vielleicht ist es ja nur meine Wahrnehmung. Aber vielleicht erkennt sich auch manch anderer darin wieder.

Es ist eigentlich egal, wie tief man durch ein Schreckensszenario fällt. Zwar mag der eine Schweregrad (geliebter Mensch gestorben) sich von einem anderen (wichtige Klausur nicht bestanden) natürlich in seiner Bedeutung drastisch unterscheiden. Doch immer ist da dieser Moment. Der Moment in dem man sich eigentlich nur noch, einem verrückten Lachen nahe, fragt: "Ne, oder? Haha, ich weiß, das ist ein Scherz!"

Solange die Dinge in Bewegung sind, fühlt man sich noch zur Aktion mächtig. Man kann das Hier und Jetzt annehmen oder ablehnen, kann bewusst mit einer schlimmen Nachricht umgehen, hat den Moment scheinbar in seiner Gewalt. Bekommt man etwas mitgeteilt, das schmerzt, und das von einem Menschen, der einem im gleichen Atemzug auch wertvolle Gesellschaft und Beistand leisten kann, ist alles noch klar definiert. Etwas ist passiert und jetzt bedarf es einer Reaktion. Vielleicht weinen. Vielleicht auch nicht.

Das Grauen nimmt erst dann seinen Lauf, wenn der Moment, in dem man doch noch alles im Griff hatte und selbst entscheiden konnte, ob man dem Mitgeteilten Glauben oder überhaupt Beachtung schenkt, längst vorbei ist. Man hatte seinen Beistand, weinte seine Tränen. Jetzt ist da nur noch die nackte und nicht mehr von Trost und der Zusatzberechtigung besonderer Umstände ummantelte Realität. Sie fordert einen auf, alsbald weiter zu machen.

So geht man also weiter seinen Weg, egal ob man nun geht oder nicht. Das Schlimme, das man erst wahrnimmt, wenn die ganze Show schon eine Weile läuft, ist, dass man sie nicht anhalten kann. Man kommt heim und sieht etwas, das weh tut. Man geht raus und erinnert sich an etwas, das weh tut. Und dann ist da diese Kälte, wenn man merkt, dass kein Mensch mehr über das nachdenkt, was einen noch immer so bleiern auf dem Herzen lastet.

Genau dieses Kontinuum an schmerzlicher Erinnerung ist es, vor dem ich mich dann immer wieder beim Davonlaufen erwische. Nichts scheint schlimmer als die Untätigkeit. Vielleicht kommt ja irgendwann der Punkt, an dem ich mich wirklich auf das einlasse, was wie ich zugeben muss tatsächlich noch immer der Wahrheit entsprach: Nicht ich bin es, die die Wunden heilen kann, kein Mensch und auch kein Aktionismus. Sondern die Zeit.

Sonntag, 20. Juli 2014

Von Tinder, Part-Time-Beziehungen und der fraulichen Unabhängigkeit

Wer mich kennt, kennt auch meine Leidenschaft für Frauenzeitschriften. Nicht etwa, weil ich sie für allzeitlich wissenschaftlich korrekte Literatur halte, nicht einmal um mir Anregungen für die neueste Nagellackierung oder Wimpern-und-Wangen-Beschminkung zu beschaffen (ich bevorzuge beides nun einmal gerne "nackt"). Sondern weil ich sie für - mal mehr, mal weniger - aufschlussreiche Stilblüten der heutigen Zeit und zudem gute Unterhaltung während des Kauens des Mittagessens halte. Zeitschriften wie die Brigitte gehören in meinen Augen ohnehin in eine vollkommen andere Schublade wie Joy, Closer oder InTouch. Aber das ist wohl ein anderes Kapitel.

Jedenfalls glaube ich, dort einen deutlichen Trend ausmachen zu können. Nicht die aktuelle Mode betreffend sondern den modernen Liebestrend. Waren noch vor Jahren und auch jetzt noch hin und wieder, jedoch mit spürbar sinkender Frequenz, Ratschläge für das Führen einer harmonischen und gleichberechtigten Beziehung gegeben, finden sich immer mehr Tipps, die in eine ganz andere Richtung zielen. Tinder (DIE Flirt-App für alle, die gerne vor Ort nicht mehr als eine Nacht wünschen), die Sinnlosigkeit oder gar Depressionsgarantie der Monogamie und, erst frisch heute konsumiert, die "Part-Time-Beziehung". Auch noch ausgestattet mit einem schicken Anglizismus scheint dies (laut Artikel) das perfekte Partnerschaftsmodell der heutigen Zeit zu sein. Weil man keine Partner mehr sein muss.

Es sei doch wahnsinnig praktisch. Statt sich den ganzen Tag mit Peter, Hans oder Max (schrägstrich Susi, Andrea oder Sibylle) herumschlagen und den gesamten Alltag auch noch um diese Person herum organisieren zu müssen, besorgt man sich einfach einen Teilzeit-Peter/Hans/Max.... Sprich: Man verabredet sich hin und wieder, hat natürlich Sex (denn dieser ist ja gesund, regt den Stoffwechsel an und macht die Haut glatt, wieder ein paar teure Pflegeprodukte und Chiasamen gespart!) in rauen Mengen und bewahrt sich aber - GOTT SEI DANK - eines: Die absolute erklärte Unabhängigkeit.

Das alles erinnert mich stark an das Feminismus-Seminar (eigentlich hieß es anders, aber es belief sich letzten Endes darauf), das ich im letzten Semester belegte. Wir Frauen müssten uns dringend Raum vor den barbarischen und niederträchtigen Mannsbildern schaffen. Denen sei nicht zu trauen. Ganz nach einem der wohl bekanntesten Ärzte-Songs der Welt: "Und falls du doch den Fehler machst und dir nen Ehemann anlachst..." Dabei muss es laut der aktuellen Theorie, der sich fast alle Frauenzeitschriften nun einig zu sein scheinen, gar kein Ehemann sein. Es reicht schon eine erklärte feste Beziehung. Die Katastrophe bereits im vollen Laufe, teilt man sich gar bereits die Wohnung.

Single-Frauen sind schlanker, heißt es in der Zeitschrift, deren Rezeption mich zu diesem Blogeintrag anregte. Nicht nur das, sie sind gesünder, beruflich erfolgreicher. Wahrscheinlich auch noch klüger, schöner und insgesamt toller und begehrenswerter. Der Artikel ließ Raum für jedes weitere hinzugefügte schillernde Adjektiv im Komparativ. Sei frau erstmal den Typen los, der einen Tag und Nacht mit seinen lächerlichen Bedürfnissen stresse, schaffe sie absolut alles, was sie auch nur begehre. Und habe endlich genug Zeit für die lustigen Cocktail- und Sex-and-the-City-Abende mit Petra, Anna und Franzi. Yey.

Ich muss mich jetzt wirklich stark am Kopf kratzen. Ich fühle mich angesichts meiner nackten Gesichtshaut, Wimpern und Nägeln sowie Abneigung gegenüber jeder Art von Schmuck an meiner Haut immer weniger der Gattung Frau zugehörig. Denn ganz ehrlich: Ich hatte das doch. Ich war jahrelang single (selbst in einer vorübergehenden Partnerschaft habe ich es mir mit meiner Bedachtheit auf ein unabhängiges Dasein wie ein Single eingerichtet), lebte in meiner eigenen Bude, ließ mich auf nichts und niemanden ein, auf den/das ich keinen Bock hatte. Ich bekam immer mehr Aufträge als Texterin, schloss meinen Bachelor der Kommunikationswissenschaft ab und hatte dicke Armmuckis, da ich alle meine Einkaufstüten selber schleppte. Ich hatte Freundinnen und Freunde, aber letztlich arbeitete ich am Abend lieber bis spät in die Nacht hinein, verbrachte die restliche Zeit mit Yoga, Laufen und Schwimmen.

Was war ich nicht unabhängig. Obendrein hatte ich noch Teilzeit-Partner im Sinne von Dates hin und wieder mit Typen. Ich habe also irgendwo das Idealbild dieser Zeitschriften gelebt. Und nun kommt der Oberhammer, und es tut mir Leid, liebe myself, Brigitte, Freundin und co: Ich bin schwach geworden.

Heute lebe ich mit meinem Freund zusammen, mit dem ich, bitte verzeiht mir, überaus glücklich bin. So oft wie ich von nörgelnden Partnern lese, die ihre Freundin nötigen, endlich mit dem Arbeiten aufzuhören (ohne zu fragen, ob es nicht rein zufällig einfach für den morgigen Tag notwendig sei), die nicht bügeln können oder sich weigern, zu kochen, muss ich mich ehrlich fragen: Was haben die denn bitte für Typen? Tut mir Leid, aber ich weiß echt nicht, wo man den heutzutage noch herkriegt. Vielleicht richten sich die Artikel ja an die Ehefrauen, die Mitte des letzten Jahrhunderts geheiratet haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass die sich noch von ihren (offenbar absolut nichtsnutzigen) Männern trennen, geht, haben sie es denn jetzt noch nicht getan, doch wahrscheinlich gen null.

Die jungen Männer (20-40), die ich kenne, geben der Frau die Chance, aufzuhören, Feminismus zu zelebrieren. Es mag ja noch Ungleichheiten in der beruflichen Einkommensverteilungen geben. Doch privat fangen die Kerle schon fast an zu nerven, wie sie alltäglich ihre neuesten Kochkreationen auf Facebook posten. Von meinem Herzallerliebsten und mir, bin ich es, die nicht bügeln, nicht kochen kann und die sich VON IHM die Wasch- und Spülmaschine erklären lassen musste. Er kann das alles und macht es ohne zu Murren. Während ich, sobald ich mal die Bude sauge, wie ein hechelnd-buhlender Labrador am liebsten mindestens eine Stunde pro Saugminute gestreichelt und gelobt werden möchte. Ja, das ist ein großes Geständnis, aber ist wohl notwendig, angesichts dessen, was ich nun immer häufiger lese.

Ok ich gebe zu, es gibt Passagen, in denen es auch mal schwierig werden kann. So sträubte sich mein Herzallerliebster zunächst tierisch (oder eben nicht) einem Kätzchen in unserer Wohnung ein Heim zu geben. Zu laut, zu stinkend, zu haarig, so seine Argumente. Ich möchte den Blick also nicht verklären, dass es tatsächlich DIE Beziehung lebe, in der es keine Widersprüchlichkeiten und keine auseinander driftenden Meinungen gibt. Ganz im Gegenteil. Letztlich zockelte besagter Liebster jedoch eine Stunde lang die Bundesstraße mit mir entlang und fuhr mich zu meinem erhofften und tiefst erwünschten Schicksal. Im Arm nahm ich mein neugewonnenes gefühlte zehn Gramm wiegendes Katzenkleinkindglück selig mit auf die Reise gen Zukunft, und eine Stunde ging es wieder zurück. Seitdem ist es für mich eines der schönsten Dinge, mit ihm gemeinsam stundenlang dem Kätzchen beim Spielen zuzuschauen. Wenn er dann so grinsen und lachen muss wie ich, glaube ich, dass mein Herz vor lauter Liebe überschäumen muss. Klingt kitschig, ist aber so.

Zum Thema Part-Time-Beziehung: Nein. Einfach nur nein. Also nicht, dass ich es irgendwem verbieten würde, um Gottes Willen. Darf ja wirklich jeder lieben und leben wie er möchte. Aber ich kann nur sagen: Erst gestern war ich mit meinem Herzallerliebsten bei seiner Familie und habe es genossen, mich absolut wohl, glücklich und vor allem dazugehörig zu fühlen. Ich hatte all das, das Einzelkämpfen, das Nur-Freundschaften, absolut-frei-und-unabhängig-sein. Auch das Kompromisslose, was mir vielleicht manchmal noch am meisten fehlt, ist angesichts dessen, was ich seit dem Zusammenziehen mit IHM dazu gewonnen habe, wirklich nicht der Rede wert.

Es gibt, so finde ich, und ziehe mich auch gleich verschämt in die Ecke der Altmodischen und Langweiligen, nichts schöneres, als am Abend neben dem selben geliebten Gesicht und Körper zu liegen und am nächsten Morgen wieder aufzuwachen um sein erstes Grummeln und Blinzeln zu vernehmen, sobald man ihn wach küsst. Immer wieder zusammen nach Lösungen zu streben und in die selben Augen zu schauen, die mit der Zeit immer mehr und mehr Geschichten mit einem teilen. Irgendwann so viele Anekdoten zu haben, das man sie nicht mehr aussprechen muss sondern angesichts einer Situation lauthals lachen muss, ohne dass irgendwer im Umkreis auch nur einen blassen Schimmer hat, was denn nun bitte so komisch sein soll. Die liebevollen Rituale, die vielleicht kleiner weil doch recht anstrengend werden. Die liebevollen Blicke, die zwar seltener aber dafür tiefer werden. Es ist, zugegebenermaßen, nicht das Dauerprogramm Romantik, das man sich mit einer Langzeit-Beziehung bucht. Aber es ist die doppelte, dreifache, hundertfache Portion an Vertrauen und geteiltem Glück angesichts der gemeinsam gesammelten Erfahrungen und der Höhle, die man sich gemeinsam geschaffen hat.

Dabei geht es nicht nur um die Substanz, die eine solche Beziehung im Vergleich zu zwei-mal-die-Woche-hopp-und-Sex-Part-Time in sich trägt. Es geht um das reine Gefühl: Schnurr, wie schön, das ist mein Hafen. Von dem aus kann ich steuern, wohin ich will, zu den vielen Ufern der Karrieremöglichkeit, der Seminare und Projekte meines Studiums, Freundinnen und Freunden, der Adoption einer Mietzekatze, sportliche Herausforderungen, und wo immer es mich auch hintreiben mag. Denn mein Freund lässt mich. Und ich hoffe für alle die anderen Mädchen und Frauen da draußen, dass es doch noch ein paar Exemplare von ihm gibt.

Denn mit dem lohnt es sich. Und ja ich spreche es aus: Gemeinsam alt zu werden. Ganz ohne Teil-Zeit-Peter und angeblich erfolgreicher Single-Karriere. Hau!

Freitag, 18. Juli 2014

Vom Segen eines Bauchweh-Vormittags

Aua. Ich liege in meinem Bett mit Bauchweh. Höchstwahrscheinlicher Grund: Nicht schlau genug gewesen, die neuen Haferflocken, die doch etwas großkörniger anmuten als die vorher genossene Sorte, einzuweichen sondern gierig wie sie sind in sich hineinzuschlingen. Mein Magen lässt mich das jetzt wellenartig spüren und bedankt sich damit recht herzlich für diese Heidenarbeit.

Aber wie fast immer im Leben kommt mit dem Übel auch etwas Gutes. Als mein heutiger Vormittagstermin abgeblasen wurde, war ich (obwohl es ein schöner Termin gewesen wäre) nicht traurig. Stattdessen tat ich etwas, das ich tagsüber selten und vormittags niemals nie tue. Ich legte die Beine hoch auf das mit einer Decke überzogene Couchbett in unserem Wohnzimmer und beschloss, nicht mehr allzu bald aufzustehen.

Nach ein paar Dreh- und Wendemanövern, in welcher Pose es Madame Magen denn am genehmsten sei, hatte ich eine gute Position gefunden, in der ich mich fühlte wie ein fauler, (in Anbetracht der Umstände) zufriedener Löwe. Schlafen konnte ich nicht, denn die sieben Stunden nachts reichen bisweilen noch aus. Stattdessen sinnierte ich. Aber nicht auf eine grüberlisch schmerzhaft unglückliche Weise, sondern sehr wohlig. Das Schnurren übernahm mein Kätzchen neben mir und synchronisierte meinen Zustand.

So da liegend, zwar immer wieder von krampfartigen Stößen gestört und gelegentlich von gereiztem Beschwerdeknurren der lieben Madame (Magen, nicht Katze) an meine Fehlernährung von heute Morgen erinnert, döste ich vor mich hin. Es ist ein heller Raum und die Sonne scheint genau so viel, dass man sich wohl fühlt aber dass es einen nicht heiß ist. Ich fühlte mich warm und glücklich.

Ich dachte über mein Leben nach. Über die Entwicklungen des letzten und diesen Jahres, die mein ganzes Leben gedreht und gewendet und an einen Glückspol manövriert haben, den ich nie für möglich gehalten hätte. Nie zuvor habe ich ein Heim gehabt, in dem ich mich wie ein fauler, zufriedener Löwe fühlen konnte. Ich hätte jetzt auch gerne geschnurrt.

Ich dachte natürlich auch an meinen Herzallerliebsten. Wie ich mich darauf freute, wenn er heute Nachmittag heimkommen würde. Wie wir am besten unser ganzes Leben miteinander verbringen und uns immer wieder neue Höhlen schaffen werden würden. Ich dachte an unsere neu adoptierte Katze Snowflake. Etwa drei Monate alt und schon ein kleiner Wirbelwind, den ich allzu oft geneigt bin, aufgrund von akuter Cuteness Overload vor lauter Liebe und Zärtlichkeit aufzufressen.

Dann dachte ich auch über meine berufliche Entwicklung und mein Studium nach. Obgleich vieles anders kam als gedacht, kann ich behaupten, mich als durchaus erfolgreich zu fühlen. Je nachdem, mit wem ich mich vergleiche. Denn ich bin weit davon entfernt, wahlweise reich, berühmt oder gar beides zu sein. Das einzige, was ich mir immer von meinem Beruf erwartet habe, ist und bleibt erfüllt: Ich stehe morgens gerne auf, für das, was ich tue. Und ich kann mich selbst verwirklichen.

Wenn das hier allzu beseelt und aalglatt selbstzufrieden klingt, so bitte ich, dies zu entschuldigen. Ich gehöre, zu meiner Verteidigung, ja eigentlich nicht zu den Menschen, die sich zu jedem gerade in Unbeschäftigtkeit Gewähnten dazuschleichen um ihm/ihr zu verkünden, wie toll man selbst und das eigene Leben sei (nein, echt nicht!). Ich bin gar nicht immer so selbstzufrieden, was mich wohl als Mensch auszeichnet.

Es war einfach nur ein wunderschöner Moment, der mich lehrte, welche Glückseligkeit eine vom Magendarmtrakt erzwungene Pause an einem sonnigen Vormittag irgendwo auf einem schönen Bett mit sich bringen kann. Da frage ich mich doch: Wäre es das nicht wert, zu wiederholen?

Vielleicht, Löwe. Vielleicht.

Mittwoch, 9. Juli 2014

Fußball? Nein danke.




Also mir langts jetzt mit dem Fußball. Ohne Witz. Und das obgleich ich Deutsche bin und dank des, ich zitiere, "historischen" 7-1 im Halbfinale gegen Brasilien eigentlich in lautem Jauchzgehüpfe zergehen sollte. Tatsächlich hab ich mich gefreut, als ich die frohe Botschaft am nächsten Tag im Internet vernahm (sorry, aber 22 Uhr ist definitiv nicht meine Uhrzeit). Die Freude wurde aber bereits in ihrer Entstehungsphase von dem erstickt, was mir im Laufe des Tages noch begegnen sollte.

Da waren die traurigen Gesichter der Brasilianer, wie sie heulend und Zähen knirschend in der Ecke lagen und jammerten. Die Bilder von Schlägereien und (zu) wild gewordenen Fans. Und dann waren da die Kommentare auf Facebook. Ja, ich weiß, man darf sie in mancherlei Fall so oder so nicht zu streng auf Relevanz, Bedachtheit, Herz und Nieren prüfen, aber irgendwann konnte ich es einfach nicht mehr sehen. Da waren die "Yeah yeah Schlaaand!" auf der einen (deutschen) Seite und auf der anderen (österreichischen) "Urg i speib glei". Irgendwie tat mir gerade letzteres schon ein bisschen weh. Was mich selbst wundert, denn eigentlich sehe ich mich mehr als Erdenbürgerin denn als einer Nationalität zugeordneten Person. Doch ich wurde nun einmal in Bayern geboren und bin im 10.000-Einwohner-Städtchen Ebersberg aufgewachsen und eben dieses wunderschöne Städtchen in Bayern zählt gemeinhin nun einmal zu Deutschland. Und wenn jemand das Land, in dem ich nicht nur laufen sondern auch schreiben, leben und lieben lernte, so lapidar zum Buhmann der Nation ernennt, dann tut mir das nun mal weh.

In meinen Augen ist das nicht Nationalstolz sondern ganz einfach das Festhalten an dem, was man bisher erlebt hat und wo man dies erlebt hat. Ich berufe mich (eben) keineswegs auf irgendwelche Teile der Geschichte und/oder (angebliche) Fähigkeiten und Merkmale der Deutschen, sehe mich nicht als in irgendeiner Form Privilegierte aufgrund meines Geburtsortes, den sich ja wohl wirklich niemand aussucht. Den Nationalstolz, der einen derzeit überwältigt, sobald man nur den Fernseher anschaltet (oder, zumindest in Deutschland selbst, vermutlich auch wenn man nur auf die Straße geht), kenne ich nicht und habe ich das letzte mal in dieser Form gefeiert als ich 16 war und es noch nicht besser wusste.

Jetzt fühle ich mich irgendwie alt und spaßverderberisch, wenn ich angesichts des Grölens und Jaulens nur angestrengt wahlweise die Augenbrauen hebe oder die Augen zusammenzwicke. Vielleicht würde es helfen, wenn ich das ganze Trara um den Fußball überhaupt nachvollziehen könnte. Vermutlich. Kann ich aber nicht. Wie kann es sein, dass sich da ganze Völkermärsche im Zuge von zweiundzwanzig Hanseln auftun, die anderthalb Stunden über den Platz wienern und versuchen, sich gegenseitig das Ball ins Tor zu dreschen? Woran liegt es, dass hier die Emotionen so hochglühen wie sonst beim Übergang von einem Millenium ins nächste? 

Aber ganz so alt und spaßverderberisch wie gewisse Aktivisten bin ich Gott sei Dank noch nicht. Die sind sich nicht zu blöd und walküren tatsächlich zu jedem einzelnen Auto und Hauswand, dessen Besitzer sich erdreisteten, eine Deutschlandflagge dort zu platzieren, um diese schnellstmöglich zu entfernen. An Stelle der Flagge finden die Fußballfans dann nur noch den Hinweis, sie würden mit ihrem Handeln nationalistisches Denken unterstützen. Meine Güte, echt.

Wer einmal mit dem Rucksack, ach was auch ohne, in der Welt unterwegs war, dem wird schnell klar: Ländergrenzen sind eigentlich sowas von zweites Jahrtausend. Im dritten, in dem wir uns jetzt befinden, passiert sehr viel. Im australischen Brisbane hatte ich Mühe, überhaupt Australier zu finden, soviele Reisenden sind a) unterwegs und so viele Asiaten und Menschen von überall her wohnen b) dort schon für lange oder immer. Und so sieht es doch immer mehr auf der ganzen Welt aus. Die Globalisierung sauge ich mir schließlich nicht gerade aus den Fingern. Ist es nicht der deutliche Trend der heutigen Zeit, dass die Menschen nicht mehr dort bleiben (müssen), wo sie geboren sind, sondern die Grenzen durchbrechen und neues Territorium erkunden?

Ich bin Deutsche. Ich lebe in Salzburg. Vielleicht werde ich eines Tages um die österreichische Staatsbürgerschaft ansuchen. Viel mehr plädiere ich für ein ganz neues Konzept: Nationslosigkeit. Erdenbürger, eh schon genannt.
Und dann braucht auch niemand mehr irgendwo eine Flagge entfernen. Oder wimmernd am Boden liegen, weil die "eigene" Fußballmannschaft gerade haushoch verloren hat.
All die Leidenschaft und das Herzblut könnten dann für ganz andere Zwecke genutzt werden. 
Für eine Welt ohne rein geografisch bedingte Grenzen zum Beispiel.

Donnerstag, 3. Juli 2014

Hippie or not Hippie

Hippies. Sie sind überall. Wer dachte, sie sind zusammen mit den 60ern verstorben, der irrt. Jedes mal, wenn ich meines Weges hin zur nächsten Chorprobe (ein ganz besonderer Chor, zu diesem später) vorbei am Volksgarten gehe, sehe ich sie. Zumindest bei Schönwetter sind sie so zuverlässig anzutreffen wie die ersten Gewitterwolken sobald man baden gehen möchte. Sie spannen ihre Slacklines auf (DAS Hippieaccessoire schlechthin), sie ziehen sich ihre Leiberl, insofern überhaupt vorhanden, aus und rauchen vermutlich illegale Substanzen.

Aber es sind bei weitem nicht die Einzigen. Ich weiß nicht, ob das einfach die ganze Zeit hindurch eh so war, oder ob es sich tatsächlich um eine moderne Erscheinung handelt. Aber mir kommt vor, ich hätte schon lange nicht mehr so viele Jungs wie Mädls gleichermaßen in weiten Baumwollhosen und gebatikten Oberteilen kombiniert mit möglichst verfilzten langen Haaren gesehen. Ich bin ehrlich: Da sind mir viele ziemlich suspekt.

Das bringt mich immer wieder zum Nachdenken irgendwie. Was ist denn eigentlich ein Hippie? Ist es per Definition jemand, der sich ungern die Haare wäscht und gerne barfuß auf Waldwegen geht und hier und da an einer Blume (oder aber an genannten Substanzen) schnuppert? Ist es einfach nur jemand der anders denkt? Da es selten befriedigende Resultate mit sich führt, schließt man nur auf das Äußere, gehe ich mal von der zweiten Definition aus und erlaube mir diese ein wenig genauer zu erläutern.

Anders denken heißt nämlich oftmals: So denken, wie eigentlich jeder denkt. Wäre da nicht und hm. Es  ist für viele der Alltag, acht Stunden oder länger in einem Büro zu sitzen. Die meiste Zeit zu tippen und hin und wieder sehnsuchtsvoll aus dem Fenster zu sehen. Verpflichtungen und sogar Hobbies nachzugehen, die man sich so nie bewusst ausgesucht hat eigentlich. Die halt einfach da sind jetzt und es zu gewagt, nahezu dreist, erschiene, sie einfach sang- und klanglos fallen zu lassen.

Die Hippies sitzen nicht im Büro und spielen nicht Geige, weil sie das nun mal immer so getan hätten. Sie gehen auch nicht Laufen oder zum Aerobickurs, um ja fit und schlank zu bleiben. Sie spannen sich ihre Slackline-Schnur zwar auf, aber ob sie nun drüber laufen oder nicht, das weiß Gott allein und entscheidet ganz die persönliche Empfindung.

Wie so oft gilt es bei der Betrachtung eines Extrems, nicht etwa dem Irrtum zu verfallen, das Extrem sei das Ideal, das es in diesem Augenblick erscheint zu sein. Für jemanden, der gerade aus einem stressigen  und zugleich zermürbend monotonen 8-Stunden-Bürotag kommt, auf seinen zwei oder vier Rädern nun  halbschläfrig weil nie ganz wach geworden gen Zuhause tuckert, dem könnte der Anblick schon weh tun. Weil es ihn kurz und heftig wie ein Blitz durchzuckt: Verdammt, das ist das Leben! So müssts doch sein.

Müssts aber nicht. Manchmal reicht es schon, sich auf Teilbereiche des Lebens zu beschränken, da aber voll loszulegen. Ich habe vor ganz kurzem eine ganz eigene Form der Hippiebewegung am eigenen Körper erleben dürfen und darf es weiterhin. Es mag sicher nicht per ursprünglicher Definition der Flower-Power-Gesinnung entsprechen, aber es fühlt sich zumindest für mich so an. Wir haben unseren eigenen Chor gegründet. Wir, das sind circa drei Hände voll Mädls und meine Wenigkeit. Wir treffen uns einmal in der Woche und singen alles, was wir lustig sind. Jeder schwingt dazu, wie er möchte. Oder auch nicht. Singt mal einer daneben, gibt es allerhöchstens einen Lacher. Ich, die bislang nur an Schulchören teilhaben durfte, erlebe hier mein blaues, oder eben schillernd buntes Wunder. Neulich habe ich mir sogar eine weitschwingende Hose gekauft. Und sie gleich zur nächsten Probe angezogen.

Seit ich in dem Chor bin, singe ich auch so wieder öfter. Zum Erschrecken meiner selbst und nicht zuletzt meiner Mitbürger des Öfteren auch beim alltäglichen Spaziergang. In weniger peinlichen Fällen irgendwo am See wenn es regnet, wenn ohnehin nur ich mich hinausgewagt habe und wunderbar allein die Ruhe und den Regen genieße. In peinlichen Fällen einfach mitten in der Stadt. Ich muss nur ein wenig abgeschaltet haben, was beim Spazierengehen ganz schnell mal passiert, und schon geht es los. Manchmal säusele ich sanft zusammen mit Imogen Heap durch die Gassen, manchmal singe ich aber auch lauthals mit sobald der Chorus in Michael-Jackson-Liedern anstimmt. Erst heute schmetterte ich laut beim Laufen "I just can't stop loving you" und musste fast weinen vor Ergriffenheit, wie frei und verliebt ich mich fühlte (und natürlich an meinen Herzallerliebsten dabei dachte).

Verwechsele ich die Begriffe "Hippie" und "Freies Schaffen, unabhängig davon was die anderen denken"? Für mich ist es eins. Und ich kann nur sagen:
Es fühlt sich verdammt gut an!