"Und, was nehmen Sie aus dieser Präsentation mit?" Ein einfacher Satz von einer freundlichen Dozentin an einem sonnigen Vormittag an der Uni hat mir sehr gut gefallen. Er brachte mich zum Nachdenken. Wie wir da saßen, jeder in seinen eigenen Klamotten und Tasche oder Rucksack, den er mit seinem Kram am selben Morgen gefüllt hatte. Die eine hat es schon Montags früh geschafft, perfekt gekleidet, geschminkt und mit wachen Augen adrett Beine-überschlagenderweise auf ihrem Platz zu sitzen. Der andere flätzt mit verwuscheltem Haar, tiefen Augenringen und einem großen dampfenden Pappbecher Kaffee, irgendwo zwischen Stuhl und Tisch.
Ja, wir sind sehr unterschiedlich in diesem Kurs. Und doch waren wir alle versammelt. Und da kam dieser Satz "Was nehmen Sie für sich mit?"
Zunächst einmal kam es mir vor wie eine Standardformulierung. Man sitzt da, hört mehr oder weniger gespannt dem Vortrag einer Referentin zu und in besonders motivierten Momenten kritzelt man sogar ein paar Notizen mit. Übereifrig ist man spätestens ab Hälfte, sicher aber ab Ende des Semesters gewiss nicht mehr. Während nämlich die einen zunehmend routiniert und damit tendenziell öfter gelangweit sind und es vorziehen, einfach mal ein wenig Ruhe zu genießen, kommen bei anderen auch wesentlich tiefere und manchmal leider auch deprimierendere Gedanken auf. Warum das eigentlich alles? Was mache ich hier?
In solchen Momenten des Zweifelns tauchen sie auf, die Bilder von Sehnsüchten, die man eigentlich auch mal leben wollte. Ob sonniges Meerespanorama, vor dem man in exotischen Gewässern endlich tauchen lernt oder auch ein Großstadtlebenmit Party all-night und Starbucks-Kaffee all-day, mit coolem Flair und Neonlichtern.
Und man selber sitzt in einem zwar hübschen, aber doch inzwischen sehr gewohntem Raum und lauscht mehr oder minder interessanten Vorträgen und wundert sich. Wars das? Das hier? Wie als wenn man sich plötzlich, nachdem man sich eigentlich sicher war, im richtigen Raum zu sitzen, aufeinmal fragt: "Ja aber stimmt denn das Gebäude?" Das schaut nämlich grad nicht mehr so frisch und toll aus wie einst. Die Fassade springt ein wenig ab und auch sonst hat man schon wieder Fernweh nach neuen Abenteuern.
Ich weiß nicht, vielleicht bin ich auch die einzige, die sich ab und an mit solch existenzialisten Fragen plagt. Es ist zum Glück nicht die Regel, aber eine gewisse Tendenz zum Hinterfragen des Hier und Jetzt kann ich nicht verleugnen.
"Was nehmen Sie für sich mit?" Aufeinmal enthielt dieser Satz ein Wunder. Und plötzlich war es mir wieder klar. Die Sonne ging auf, der Horizont lichtete sich, das Boot stach wieder in See. Es passt hier jede pathetische Metapher, die veranschaulichen soll: Der Satz hat aufgeräumt.
Aufeinmal wurde mir bewusst Es geht nicht immer darum, das alles genau so passt wie es ist. Es geht auch nicht darum, sofort immer gleich im richtigen Gebäude zu sitzen.
Jeder in diesem Raum, mit seiner Tasche, seinem Rucksack, seiner Brotzeugbox und seinem karierten Papier-Block ist ein freier Mensch. Man kann morgen, ja sogar heute, zu jeder Zeit hingehen, wohin man möchte. Es ist nicht so, als würde man sich einen fixen Punkt suchen, auf dem man fortan Stellung halten müsste. Tatsächlich ist es so ein schöner Gedanke: Aus allem lässt sich etwas mitnehmen. Erscheint es auch im ersten Moment noch so klein und lächerlich.
Es geht darum, im Hier und Jetzt zu lernen. Dinge mitzunehmen. Erfahrungen, Erkenntnisse, ganz neue Menschen. Man lernt sich kennen, man lernt von einander. Man lacht, lebt, weint miteinander. Man probiert etwas aus, findet etwas toll, lehnt etwas ab. Man studiert nicht nur sein Studienfach sondern alles und jeden um sich herum. Und jeden Tag gibt es neues zu lernen, zu beobachten. Man muss nur die Augen offen halten.
Egal ob das Gebäude nun das richtige ist, oder der Raum, oder überhaupt das Land. Etwas mitnehmen kann man immer.
Der Urlaub, bei dem man sich wünscht, er würde nie enden: Nehmen Sie sie mit, die Bilder, Gerüche, die Luft und das Gefühl von tanzender Freiheit.
Der Abend voller Rhythmus und Tanz, das glückstaumelnde Gefühl und das beseelte Taumeln in Grenzenlosigkeit, all das lässt sich mit einpacken.
Und auch wenn mal etwas nicht so gelaufen ist, vielleicht sogar ein trauriges Erlebnis: Es ist nicht umsonst. Sogar die Frage nach dem Sinn, die sich mancheiner unter uns immer wieder stellt. Warum macht man etwas, was ist der Sinn, ist da noch mehr? Die Frage erübrigt sich, wenn man bedenkt, dass die Schätze, die man sich eingepackt hat, für ein Leben erhalten bleiben und glücklich machen. Der Horizont lichtet sich eben nur, wenn man weitergeht.
In diesem Fall ging es davon, aus einer Präsentation etwas mitzunehmen. Ich kann mich nicht mehr an den Inhalt erinnern, wohl aber an das Selbstbewusstsein, mit dem das Mädl ihren Vortrag gehalten hatte. Wie sie Fröhlichkeit ausstrahlte und so vermutlich auch ein Referat über die Binominalverteilung statistischer Variablen zur spannenden Show verwandelt hätte.
Sie erinnerte mich daran, dass es oft passiert. Ich lerne oft Menschen kennen, die mich verzaubern. Wie sie reden, wie sie lachen, sich bewegen. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich mich hin und wieder dabei ertappe, etwas zu übernehmen. Etwas "mitzunehmen".
Ich mag die Vorstellung von uns allen als Pilgern durch das Leben. Jeder mit Hab und Gut auf dem Rücken, jeder im Prinzip doch gar nicht so anders als der andere.
Und jeder in der Lage, ein Stückchen nebenher zu gehen.
Und hin und wieder etwas mitzunehmen, ohne es zu stehlen. Denn es sind Gedankengüter, Erinnerungen, kleine und große Geschenke, die uns das Leben im Laufe unseres Daseins macht. Sie begleiten uns ab da für immer auf unserem Weg. Man kann sie, wenn man in Gedanken herumschlendert, entspannt im Zug sitzt oder einfach nur auf dem Bett liegt, jederzeit hervorholen.
Ob das die Dozentin wohl meinte?
Schwer zu sagen.
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