Mittwoch, 6. Juni 2012

Wo sind all die Träumer hin?

Sie sind meist Figuren in Romanen und Kurzgeschichten. Sie lassen sich treiben, sind ein wenig weltfremd und haben von der Realität nur eine ungefähre Ahnung. Sie grübeln nicht den ganzen Tag darüber nach, was sie heute noch alles erledigen müssen. Stattdessen sitzen sie wahlweise auf einem Steg am See und werfen gedankenverloren Steinchen ins Wasser, spazieren am Meer entlang und sammeln Muscheln oder füttern Möwen. Es ist ein Bild, das sich gut eingeprägt hat: Letztlich ist es das Bild von Glück. Nichts zu tun (oder zumindest macht es den Anschein), die Seele baumeln lassen, frei sein. Rumsitzen, spazieren, alles. Bloß eins nicht: Hektik.

Doch was ist die Realität heutzutage? Zum Bersten überfüllte To-Do-Lists, ein Gerenne von Punkt a zu Punkt b um noch rechtzeitig zu Punkt c zu kommen. Sobald man gefragt wird, ob man nicht Lust auf ein Tässchen Kaffee hätte "Ja eigentlich voll gern, aber..."
Ja, aber. Dieses aber. Man sagt es ständig, man hört es ständig, es ist so sehr in den alltäglichen Sprachgebrauch eingeflossen, dass es fast schon schockiert wenn da einer mal daher kommt und sagt "ja gerne, jetzt gleich?"
Es gibt diese spontanen Frohnaturen, diejenigen, die abschalten können. Aber ich bekomme vermehrt den Verdacht, dass es sich um eine aussterbende Rasse handelt.

Man muss sich nur mal die Werbung und PR-Bildchen von Campus- und Universitätsseiten durchsehen. Junge Menschen, die entspannt im Gras auf einer Picknickdecke herumlümmeln, in einer munteren Diskussionsrunde miteinander quatschen. Man kann sich direkt vorstellen, wie hin und wieder einer sich gähnend streckt und die andere kurz genießerisch die Augen schließt, weil die Sonne grad so schön auf die Nase scheint. Es sieht nach Glück aus, nach Angekommen-Sein. Es muss einen Grund geben für diese Bilder, mit denen potenzielle Studenten-in-spe angelockt werden sollen. "Komm hierher, studiere hier! Hier sind wir alle eine Gemeinschaft und lassen uns treiben", scheinen sie zu sagen.
Und wie schaut das dann in echt aus?

Ich will nichts generell gegen das heutige Studentenleben sagenoder wie dieses aussehen sollte. Es ist für mich nur ein gutes Beispiel für das, was derzeit extrem um sich greift. "Bück dich hoch", ein trotz seiner Party- und Tanztauglichkeit sehr gesellschaftskritisches Lied der Band Deichkind spricht es meines Erachten ebenso an. Es ist der Drang danach, zu powern, zu leisten, zu schaffen, zu machen und am Ende zwar komplett erledigt zu sein und keine Zeit für nichts mehr zu haben, dafür aber um Himmels willen produktiv zu sein. Bin ich selber ein Opfer dieser Mentalität? Ja, gut möglich. Aber auch nicht immer. Den Rest der Zeit frage ich mich: Wo sind sie hin die Freigeister? Die Leute, die unter Glück nicht das Abliefern des fünften Projektes bereits zu Anfang des Monats verstehen. Sondern: Die Zeit, in der man einfach mal man selbst sein kann. Frei. Den Kopf voller Träume und die Zeit, sich diesen hingebungsvoll zu widmen. "Don't dream your life" heißt es und dabei wird ganz vergessen: Was gibt es denn schöneres als einfach mal alle Bilder und Sehnsüchte, Farben und Formen im Kopf zuzulassen? Urlaubserinnerungen bei altbekannten Liedern aus dem iPod hochkommen zu lassen, Menschen kucken, Düfte und Gerüche um sich herum wahrnehmen, Regen und Sonne auf Haut spüren.

Man will etwas leisten, klar. Das bloße Herumhängen ist für die wenigsten was. Aber mir scheint, dass angesichts von Workaholismus und Burnoutfall der dreimillionste heutzutage vergessen wird, was Arbeit ist und was Freizeit. Und worauf man da eigentlich hinarbeitet. Ist es nicht Freiheit, was man am Ende des Tages haben will? Wie kommt es, dass jemand soviel arbeitet, dass er am Ende all seine Träume von Reisen und Abenteuer vergisst? Oder sei es der einfache Ski- oder Badeurlaub. Wie kommt es, dass die Pauschalaussage irgendwann wie von Zauberhand aus dem Mund strömt: "Ich würd ja gern, aber..."
Ist es am Ende nicht eine Ausrede, die wahren Träume gar nicht erst angehen zu müssen? Ist das geschäftige Treiben das perfekte Alibi um keine schwierigen und manchmal quälenden Fragen mehr nach dem "Was genau will ich eigentlich wirklich?" stellen zu müssen?

Im Großen ist das eine Abenteuerreise mit dem Rucksack durch Südamerika. Im Kleinen ist es der gedankenlose Spaziergang, das Sitzen auf der Bank oder das verträumte und süße Nichtstun im Überall und Nirgendwo. Wenn der Wind draußen um die Nase weht, entweder alleine oder mit einer guten Freundin ratschend. Wenn man aufeinmal so lachen muss, dass man gar nicht mehr aufhören kann. Wenn einem auf einmal alles egal ist, außer der Tatsache, genau jetzt hier zu sein.
Ich habe immer eine grüne Wiese vor Augen, wenn ich an das Paradies denke. Ganz so kitschig muss es ja nicht in jedem Kopf ablaufen. Aber ich denke, jeder hat doch im Kopf so ein paar Bilder, denen er sich gerne widmet. Und Ideen, was man so anstellen könnte, wenn man eben mal nichts zu tun hat.

Ich denke es gilt wie so oft im Leben, die Balance zu finden. Eine Balance zwischen produktiver Arbeit und dem Gefühl, etwas geleistet zu haben.
Und dabei, das der schwierigere Teil, nicht zu vergessen, wofür man es tut.
Ob es das ist, was man tun möchte.

Und ob da noch genug Platz ist für die eigenen Träume. Und sei es nur die Picknickdecke am See mit dem Liebsten drauf.

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