Montag, 2. April 2012

Der schmale Grat zwischen Spiritualität und Wahnsinn

Meine Mutter und meine Oma haben eins gemeinsam: Sie sind mit einem ziemlich gesunden Pragmatismus ausgestattet. Empfand ich das vielleicht in naiv-verspielt-verspinnten Jugendjahren noch als unromantisch und beklemmend, bin ich heute über alle Maßen dankbar dafür.

Denn die Welt, in der wir leben, erscheint mir des öfteren verwirrend. Es strömen eine Menge Impulse, Kulturbräuche und Konsumgegenstände aus aller Herrenländer auf uns ein. Früher machte man das, was im eigenen Heimatsland eben üblich war. Der Bayer aß seine Leberkassemmel, der Japaner sein Sushi und der Mexikaner Tortillas (extrem überspitzt formuliert freilich). Das war einmal. Heute isst jeder alles, macht jeder alles und, scheinbar, darf auch jeder alles. Globalisierung, Vernetzung, We-are-one-world-Kultur. Alles top. Nur eben recht verwirrend, ab und zu.

Als besonders schwierig empfinde ich das Thema "Ashram". Nicht nur die gemeinsame Glaubensstätte ist gemeint, sondern alle mit der "Yoga-Kultur" einhergehenden Gepflogenheiten und Denkensweisen. Man schlürft grünen Tee, verbiegt sich hin und wieder in spirituell-sehnig anmutenden "Asanas" (Yogastellungen) und ist ansonsten ganz "free and open" in "mind and soul". Alles kann, nichts muss. Immer mit der Ruhe und nicht vergessen: Tiiiief ein- und ausatmen. Ich will mich nicht lustig machen, dafür interessiert mich das Gebiet viel zu sehr. Doch hier kann ich durch meine pragmatisch geprägte Erziehung nicht anders, als mit einer gewissen Grundskepsis an die Sache heranzugehen.
Denn ich frage mich: Wo ist die Grenze zwischen spirituell-gesunder Ruhe und esoterisch-übersinnlichem Wahnsinn? Das Risiko, sich in Meditationsgesängen und Klangschalen zu verlieren und den Blick für die tatsächlichen Inhalte des eigenen Lebens zu verlieren, scheint latent.
Erstmal lässt sich recht einwandfrei bestätigen, dass Yoga gesund ist. Gut für Haltung, Entspannung, Muskeln, Gesundheit, Herzkreislauf. Viele können dabei relaxen, andere nutzen es einfach, um Rückenschmerzen vorzubeugen. Auch Tee hat den Ruf, gesünder als Kaffee zu sein. Um hier nicht zu ernährungswissenschaftlich zu werden, möchte ich einfach zusammenfassen: Gesunde, bewusste Ernährung, wie in der Yogakultur durchaus propagiert, ist, man glaubt es kaum, gesund und daran ist sicher nichts falsches. Dass man die eine oder andere erhobene Augenbraue bei Fragen wie "Ist der Reis auch Vollkorn?" oder "Haben Sie denn kein Dinkelbrot?" riskiert, ist wohl in Kauf zu nehmen.

Solange sich das ganze noch im "normalen" Kontext abspielt, wirkt das ganze ja in Ordnung. Will heißen: Man lebt sein Leben, nur eben mit ein wenig Einfluss aus östlich-exotischen Kulturen und trinkt dann eben Tee statt Kaffee. Macht abends halt lieber Yoga, statt sich zum "Trimm-dich-schlank-Kurs" des heimischen Fitnesscenters zu begeben. Es gibt eh genug Vermischungen von West und Ost, so dass eine lockere Grenze für die meisten angenehm einzurichten ist. Poweryoga und grüner Tee gehören eh bereits zum Standard.

Wo beginnt es also, kritisch zu werden und das eigene Denken langsam aber sicher zu manipulieren? Die Persönlichkeit zu verkehren in eine Richtung, die man, hätte man es vorher gewusst, lieber verhindert hätte?
Möglicherweise beginnt es schon dann, wenn man sich des öfteren dabei ertappt, anderen ungebetenerweise Ratschläge und Tipps zu geben, davon ausgehend, dass Yoga und co ein Allheilmittel für jedermann sein dürften. Wenn es irgendwann der einzige Anknüpfpunkt wird und man sich beleidigt ins Schneckenhaus verkriecht, wenn andere mit Skepsis und Unwollen antworten. Wenn man merkt, dass man vielleicht schon zu sehr nur noch "sein Ding" macht.

Beruf, Familie, Freunde und irgendwie einfach das "normale Leben": Je mehr man sich davon entfernt, desto schwerer fällt das Zurück. Vor allem, wenn Probleme im Alltag der Grund für die innere Unzufriedenheit und Auslöser für die "Sinnsuche" waren, kann so ein Ashram meines Erachtens auch als Fluchtort dienen. Er bietet das, wonach man sich sehnt: Keine Probleme, keine Ängste und keine Forderungen. Doch was man in Kliniken "Hospitalismus-Effekt" nennt, gibt es, nehme ich an, in ähnlicher Form auch in Ashrams: Man gewöhnt sich so sehr an Menschen, die überdurchschnittlich tolerant, friedlich und "open-minded" sind, dass die tatsächliche Härte und so manch ein Umgangston des "realen" Alltags, wieder zurück aus dem Ashram, schlichtweg frustrierend und beängstigend wirkt. Es haut einen um. Irgendwann geht gesunde Skepsis verloren und naiver Gutglauben tritt an seine Stelle. Wer für immer im Ashram bleiben will, ok. Wer sich der Kultur anschließen und sein Leben danach künftig ausrichten möchte, klar, seine Entscheidung. Der Rest wird irgendwann jedoch leider aufwachen müssen und, zurück am Boden der Tatsachen feststellen, dass nicht alle von Ausdruckstanz und Klangschalen so begeistert sind, wie er.

Eines Tages möchte ich selbst mal für eine kurze Zeit in einen Ashram, um auf eigene Faust zu erkunden, wie das Ganze dort denn tatsächlich von statten geht. Brainwashing oder Friede, Freude, Eierkuchen für eine kurze erholsame Zeit? Kann man letztlich wohl nur herausfinden, indem man es sich ansieht.

Ich überlege nur noch, ob ich meiner Oma davon erzählen sollte.

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