Montag, 15. Dezember 2014

Die verstoßene Strumpfhose

Ich habe da so eine Strumpfhose. Sie ist alt, ihre früher strahlend "lilane" Farbe ist längst irgendwo in den Abgründen der Waschmaschine verschwunden. Früher war sie mal dick und flauschig, jetzt ist sie dünn und leicht. Früher ein beliebter Begleiter zu festlichen Anlässen (sie ist eine ganz feine Dame, aus Kaschmir und von Falke), verbringt sie nun ihren Lebensabend auf eine ganz andere Weise: Sie ist meine Lieblings-Über-die-Radlhosen-zieh-Hose. Denn jetzt wo es draußen zwischen 0 und 3 Grad hat, hat sie genau die perfekte Konsistenz, um meine Waden zu wärmen.

Warum ich Ihnen das alles erzähle? Tja, also die Sache ist die: Die Strumpfhose hat noch ein anderes Manko. Sie hat ein Loch. Mitten am Hintern. Bevor jetzt wilde Spekulationen starten, werfe ich es gleich vorweg: An dem Loch war früher ein Etikett. Ich hasse Etiketten, so fühlte ich mich bemüht, es restlos zu entfernen, was leider nicht ohne Folgen blieb für das arme lila Geschöpf. Und jetzt ist da eben ein Loch, wo einmal das Etikett war. Früher hat man das Loch nicht gesehen, da ich die Strumpfhose schließlich UNTER Rock und kurzer Hose trug. Nun kommt sie über die Radlhose – und das Loch entblößt nicht etwa nackten Hintern sondern schlichtweg ein schwarzes Stück Polyamid-Elasthan-Gemisch.

Die Menschen um mich rum zeigen sich dennoch pikiert. Als mich neulich eine ältere Dame im Pelzmantel darauf ansprach, ich hätte da ein Loch, und ich ihr daraufhin strahlend berichtete: "Ja, ich weiß, das zieh ich immer über meine Radlhose an", war ihre Reaktion nicht "Ah, natürlich, wie konnte ich das übersehen!" sondern ein Paar überaus skeptisch hochgezogene Brauen. Ich hielt sie für dämlich und eitel und versuchte anschließend meinen Ärger über sie hinfort zu strampeln. Auf einmal hatte ich das Gefühl, ein Straßenpenner oder ein Drogenjunkie zu sein. Vielleicht beides.

Dann war eine Weile Ruhe. Ich strampelte in alle Herren Richtungen, genoss die Sonne, den Wind und den Bergblick und dachte an nichts Böses. Dann kaufte ich im Supermarkt meines Vertrauens ein und wie ich an der Kassa stand, erhob sich meine Lieblingsverkäuferin auf einmal von ihrem Stuhl. Sie kam auf mich zu. Ich war verwirrt. Da nahm sie mich beim Arm und flüsterte mir ganz ganz leise ins Ohr: "Du, du hast da ein Loch! Am Popo!" Plötzlich fühlte ich mich erneut vom Pein geplagt. Meine Erwiderung "Ja ich weiß, die trage ich immer über meiner Radlhosen" klang schon deutlich schwächer.

Zuhause sah ich mich im Spiegel von hinten an. Ja, ein kleines Loch am Popo, stimmt schon. Aber doch über der Radlhosen. Mein Hintern ist ja wohl kaum schwarz. Jetzt frage ich mich: Soll ich so eine schöne Strumpfhose wegwerfen, die genau jetzt die perfekte Konsistenz erreicht hat, um mir noch viele Monate, vielleicht sogar Jahre, einen treuen Dienst zu erweisen? Ich will sie nicht auf Business-Meetings und Hochzeiten tragen. Es geht doch nur um meine geliebten Stunden alleine, nur mit mir und meinem Radl-Ross. Und gelegentliche Abstecher in den Supermarkt.

Fast schon treibt mich das Sujet zu einer viel übergeordneteren Frage: Muss man sich dann anpassen, wenn alle sagen, dass etwas nicht richtig ist? Oder kann man so weiter machen, wenn man ganz genau weiß, dass man bestimmt niemandem weh tut und sich alles ganz locker flockig anfühlt?

Neulich hatte ich dann eine schwarze Leggins über der Radlhosen an. Ohne Loch versteht sich. Die lila Strumpfhose blickte mich traurig an und fragte: "Wirklich? Wegen denen?" Und ich kann ihr gerade keine Antwort geben. Ich muss darüber nachdenken.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen