In letzter Zeit habe ich immer wieder den selben Traum. Jedes mal finde ich mich darin auf einem anderen Fleck in der Erde wieder. Mal in der australischen Stadt Brisbane (war ich tatsächlich schon), dann wieder in einer sumpfig-moorigen Landschaft in wahlweise Schott-, Ir- oder Island (war ich noch nie). Jedes mal ist es ein an und für sich toller Blick, der sich mir bietet. Doch jedes Mal denke ich mir in diesen nächtlichen Trips das selbe: "Ach man, ist ja toll hier, aber ich will hier eigentlich gar nicht sein. Ich will viel lieber heim." (Ja, mir ist aufgefallen, dass sich das reimt. Scheinbar bin ich ein nächtlicher Poet.)
Jetzt, im wachen Zustand, geht in meinem Kopf eine Frage um, die vermutlich unnötig und ganz sicher ein Luxusproblem ist: "Bin ich zu faul zum Reisen?" "Geworden", müsste man hinzufügen. Denn in früheren Jahren habe ich mich bereits mit dem Rucksack ausgetobt, bin durch australische, neuseeländische und südostasiatische Gefilde gereist und habe dabei eine Menge Menschen, Hostels, Flughäfen und seltsame Gefühlsgemische kennen gelernt. Nicht immer hat mir das gut getan, aber das ist wohl eine andere Geschichte.
Oder ist es das wirklich? Denn immer, so stellte ich (zumindest für mich) fest, betritt mit fremdem Territorium auch ganz neue Arten von Seltsamkeiten. Man fühlt sich total aus den Angeln gehoben, wie ein Fisch der wider Erwarten auch an Land atmen kann, aber sonst keine Ahnung hat, wie er sich nun bitte zu verhalten hat. Das gilt insbesondere für die Gelegenheiten, bei denen man alleine verreist. Sonst tägliche Abläufe und eine deftige Portion Routine gewöhnt, kann es als seltsam leeres Gefühl daherkommen, plötzlich frei zu sein.
Eine der angesprochenen Seltsamkeiten stellte ich bereits früh in Australien fest. Was eigentlich reines Heimweh war, wurde mir besonders angesichts der einkaufenden Damen im Supermarkt klar. Manch eine hatte ein kleines Kind vorne im Einkaufswagerl sitzen, der anderen konnte man allein an den Windeln, Salatköpfen und überdimensionalen Schokokekspackungen, die sie vor sich herschub, dass sicher auf direktem Weg zurück heim in ein gemütliches Nest unterwegs war. Heim. Seufz. Der Gedanke an ein Zuhause saß wie ein tiefer Schmerz in mir fest. Wie ein Schluckauf, der nicht weg geht und mit jedem Hicksen noch mehr weh tut, der aber nicht weggehen will. Nicht mit Luft anhalten und auch nicht mit drei glatzköpfigen Männern.
Seltsam daran war, dass ich zuhause immer genervt war vom Zuhause. Nicht im Sinne einer tatsächlichen Unzufriedenheit oder gar unglücklichen Kindheit - nein. Aber ab einem gewissen Alter sehnt man, oder sagen wir sehnte zumindest ich mich nach etwas anderem. In der privilegierten Situation innerhalb einer intakten Familie und immer im gleichen schönen Städtchen behütet aufgewachsen zu sein, war die logische Konsequenz, dass ich mich als Spätpubertierende nach dem entsprechenden Kontrastprogramm sehnte. Abenteuer, Ferne.
Natürlich habe ich auch tolle Sachen auf Reisen erlebt. Das Heimweh suchte mich immer wieder heim, dazwischen lernte ich jedoch tolle Menschen, schöne Orte und all das kennen, was man sich als rucksackreisendes junges Mädl mit wilden Träumen eigentlich nur so wünschen kann. Ich hatte eine (wenn auch wirklich sehr unschuldige) Liebelei mit einem Tauchlehrer, mit dem ich mich weit ins australische Meer getraut und sogar einen Hai gesehen hatte, ich habe eine sehr lustige Woche mit sehr sehr netten Holländern in einem Bungalow mitten im Dschungel verbracht, konnte sämtliche romantischen Vorstellungen von den "wilden Cowboys im Outback" anhand meiner Nanny-Erfahrung auf einer Farm in der roten Wüste restlos beseitigen und fütterte kleine unglaublich niedliche und extrem zutrauliche Mini-Känguruhs, sogenannte Wallabys, mit der Hand.
Aber eine wichtige Sache habe ich auf all den Reisen und insbesondere nun, da ich mich hier auf der überdimensionalen Couch (eigentlich ein umfunktioniertes Bett, aber pssst) neben meinem Herzallerliebsten gemütlich da fläzend mit dem wärmenden Laptop auf den Oberschenkeln wähnen darf, über mich selbst gelernt: Ich bin ein Nest-Mensch. Abenteuer schön, Erfahrung toll, Landkarten juhu. Aber nichts und ich wiederhole nichts ist schöner, als das Gefühl, angekommen zu sein. Und, um dieses Klischee noch zu vervollständigen, komme ich nicht umhin die Metapher vom weit gereisten und nun doch recht strapazierten Boot zu bemühen, das nach scheinbar endlosen Odyseen endlich in seinem Hafen angelangt ist.
Den Hafen wieder verlassen? Mal wieder rausspitzen? Trotz Gemütlich- und Wohligkeit ist diese Sehnsucht noch lange nicht erloschen. Fast jeden Tag schaue ich mich nach günstigen Flügen um, klicke mich wahlweise durch Bilder von Thailand, Island, Grönland, Nepal und jedem Ort an, den ich finden kann. Die Landkarte auf Google Maps studiere ich wie andere die Speisekarte oder die aktuelle Kollektion von Zalando.
Und doch sind da diese Träume, die mir eher nahelegen, zuhause auf der gemütlichen Couch zu bleiben und in der Umgebung, die ich liebe: Der Mönchsberg, die ganze Stadt Salzburg, die Menschen und ja auch Arbeit und Uni eingeschlossen. Soll ich auf sie hören? Ist das Leben auch lohnenswert wenn man nicht reist?
Ich glaube, da gibt es keine finale Antwort. Ich glaube nicht, dass ein Leben nur dann schön und erfüllend sein kann, wenn man möglichst viele Orte auf der Welt erkundet hat. Dafür kenne ich zu viele, bei denen Reisen eher einem Weglaufen vor sich selbst oder was auch immer gleich kommt. Und zu viele, denen man ihr Lebensglück ansieht, die meines Wissens niemals außerhalb der europäischen Grenzen waren.
Aber es gibt so viel Schönes auf der Welt zu sehen. Und wer weiß - das Heimkommen wird vielleicht noch viel schöner, nachdem man mal wieder Grenzen gecheckt und geschmeckt hat. Denn eins ist sicher: Nach dem Nest ist vor dem Nest.
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