Gerade noch herrschte hyperaktives Gehüpfe auf der überdimensionalen Bühne. Mit ein paar letzten halbmotivierten Sprüngen auf dem eigens hergestellten Trampolin verließen die Griechen die Bühne. Dann geht das Licht aus. Man sieht, dass da eine Person steht. Sie beginnt zu singen. Und hätte die Funken, die um sie anfangen zu sprühen gar nicht gebraucht, damit alle zwanzigtausend Augenpaare ausnahmslos auf sie gerichtet sind.
Nicht mal der ORF-Moderator, der das Geschehen beim Eurovision Song Contest 2014 für die österreichischen Zuschauer kommentierte und begleitete, hatte an einen Sieg geglaubt. Klar, sie sei schon gut, sowohl von ihrer Aufmachung als von der Stimme. Aber Song Contest Gewinner? Die Frage, die er sich vielleicht wie viele andere gestellt hat, war: Sind wir wirklich schon weit genug, SO eine öffentlich zum europäischen Sieger und damit auch ein bisschen zum Gesicht zu erklären?
"From the fading light I fly - Riiise like a phoenix!" Ich höre mir diese Stelle immer und immer wieder an und die Gänsehaut will nicht weggehen. Vielleicht geht es momentan ganz vielen Menschen auf der Welt oder zumindest in Europa sowie den teilnehmenden Wählern der Show genauso. Denn irgendwie hat die Dame Wurst da einiges bewegt. Auch in mir drin.
Nein, ich bin kein Transvestit und nein, soweit mein Bewusstsein da nicht Meisterleistungen erbringt, um das unter ihm zu unterdrücken, habe ich auch kein Bedürfnis danach, ein Mann zu sein. Ich sehe nicht den Bart selbst als Inspiration, den Conchita als absolut unverwechselbares Markenzeichen trägt. Auch dieses divenhafte kann ich an ganz gewöhnlichen Mädls und Frauen eigentlich nicht ausstehen. Aber es ist ja nun mal wie es ist: Miss Conchita Wurst ist in Wahrheit ein Mister und somit in meinen und den Augen vieler vor allem eins: Ein wahnsinnig mutiger und inspirierender Mensch!
Ich bin eigentlich ein Mann? Egal. Ich muss mich vor vielen Menschen fürchten, wenn ich das anziehe, was ich am liebsten anziehe (nämlich Kleidchen und hohe Schuhe)? Seis drum. Ich bin mir sicher, im Alltag gab es vor dem großen Sieg für Conchita sicher genug Probleme in Form von vorurteilenden und pöbelnden Skeptikern, deren Hirnspannweite offensichtlich nicht reicht, um etwas anderes nicht automatisch als etwas zu bekämpfendes (oder wenigstens zu verurteilendes) anzusehen. Nach ihrem großen Erfolg gibt es nun auch Theater. Aber anders.
Auf ihrer Facebookseite schlagen sich die Menschen gegenseitig die Köpfe ein. Die, die sie lieben und die, die sie hassen. Dominanz erringen dabei relativ eindeutig die Fans. Mit gutem Grund (und ja, hier beziehe ich selbst Stellung und ich sage es frei heraus): Conchita ist nicht etwa nur ein Star oder Unternehmer, die sich schon allein durch ihre letztlichen Profitabsichten kritisier- und angreifbar macht. Einen Schuhhersteller kann man gut oder schlecht finden und das mit Fug und Recht. Man kann auch Conchita doof finden, ihren Stil, ihre Stimme, was auch immer.
Aber sie gibt den Menschen etwas mit auf den Weg. Kurz ist mir, muss ich gestehen, sogar ein bisschen die Metapher von Jesus eingefallen. Der ist ja in gewisser Maßen auch "gerised", auch wenn vielleicht ein wenig dramatischer mit Von-den-Toten-Auferstehen und so. Ok, diesen Vergleich aber nur kurz als Hirngespinst mit angeführt. Übersteigert ist er vermutlich sicher. Ich finde aber schon, dass es mindestens eine Parallele gibt: Beide brachten und bringen die Menschen zum Umdenken.
Conchita rised zwar nicht in einer komplett konservativen Gesellschaft, da sie ja von eben dieser gewählt wurde (wenngleich auch Recherchen interessante Ergebnisse ergeben, wer da tatsächlich am Hebel stand), dafür wird sie es angesichts von Morddrohungen und zahllosen Dissern wohl immer wieder tun müssen. Sie zeigt uns: Kopf hoch, Brust raus. Zeig, wer du bist, bleib so, lass dir nichts sagen. Nichts in der Welt ist es wert, sich selbst zu belügen. Europa steht damit nun vor einem Zwist, offenkundig speziell (mal wieder) ein Ost-West-Konflikt: Frau und doch keine, Mann und doch keiner - geht das? Die Russen haben sich ja schon zu Wort gemeldet. Ihre eigene Beliebtheit konnten sie unschwer an den überwiegenden Buh-Rufen angesichts ihrer eigenen zwei blond-bezopften Pferdchen beim Contest ermessen. Conchita jedenfalls hat ihre Fans und diese Fans - das ist in meinen Augen das Schönste - tragen nicht nur sie, sondern ihre ganze Gesinnung. Ich glaube daran, dass das ein Schutzschild darstellen könnte für jeden einzelnen Transsexuellen, Schwulen oder was auch immer, der Angst hat, anders zu sein. Zumindest gedanklich.
Und so wird Conchita nun ihren Weg gehen. Jeden Morgen die Augen aufschlagen, um sie anschließend genau so lange und intensiv zu tuschen, wie sie das möchte.
Und genau das wünsche ich ihr von ganzem Herzen.
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