Freitag, 3. Mai 2013

Die Inkognito-Leserin

Psst... Ich habe ein Geheimnis. Schon seit geraumer Zeit bediene ich mich eines Mediums, das offensichtlich nicht für mich bestimmt ist. Ich finde die Themen spannend, tauche hier mal in fremde Welten, dort in die niedlichen Weiten eines babyblaues Layouts mit Schafwölkchen ein... doch spätestens wenn sich die Redakteur/innen (vorzugsweise -innen) in ihren Texten und Artikeln über, ihrer Meinung nach, "allgemeine Themen" ergießen und sich an die vermeintlich gemeine Leserin wenden, wird es mir schlagartig klar: Die meinen nicht mich.

Die Rede ist von Frauenzeitschriften. Die klassische Zielgruppe scheint mit mir maximal das Alter und bestimmte ästhetische Ansprüche zu teilen. Ansonsten ist sie wie folgt: Berufstätige "Business"-Frau, und das nicht irgendwie, sondern in einem 9to5/6, manchmal 7, wenns blöd kommt 8-Job, hat maximal ein Kind, ist liiert und steht auf alles, auf dem der Begriff "Lifestyle" prangt. Sie ist bestens integriert in einen umfassenden Freundeskreis inklusive ihrer "Girls-Clique" (Achtung, Grundvoraussetzung!), mindestens einem schwulen besten Freund und natürlich einer allerallerbesten Busenfreundin. Zu ihren Eltern, insbesondere der Mutter, hat sie ein distanziertes bis zeitweise krisenhaftes Verhältnis, da sie zu oft anrufen. Sport ist für sie ein lästiges Mittel zum Abnehmen. Sollte es doch mal Spaß machen, wird sogleich ein himmelhochjauchzender Artikel geschrieben. In dem wird das neu entdeckte Anziehen der Laufschuhe dann mit einem derartigen Enthusiasmus verkündet, dass der Erfinder des Rades ganz blass wird. Das Power-Gefühl ebnet aber auch schon wieder ab, sollte es doch mal ziepen und am Ende sogar anstrengend sein. Die Themen der Zeitschriften sind durchaus bunt und vielfältig, aber wenn es um gewisse Bereiche geht, wird die vornehmliche Adressierung an die Leserin überdeutlich.


Allein das mit dem Job: Die Standard 20- bis 30-jährige Frau scheint ständig wichtige Präsentationen zu leiten, hat immer einen schwierigen Vorgesetzten, mit dem sie endlich über ihr zu niedriges Gehalt verhandeln sollte und eine Kollegschaft, bei der von der Lästerkuh bis zum Machoarsch und der netten Kollegin von nebenan jedes Klischee bedient wird. Sie sollte jeden Tag zu neuen Ideen anregen, wie beispielsweise mittags, statt zu Essen, ein fröhliches Mittagstänzchen zu zelebrieren, wie es nun ein Trend in Schweden zu sein scheint. Oder das nächste Meeting doch bitte nicht in den hauseigenen Räumen sondern auf einer hübschen Alm zu halten. All das mag Realität in einer schicken Marketingagentur mit neuzeitlicher Einstellung (und viel Geld) sein. Aber im Krankenhaus, in der Schule, auf der Post? Naja, wer arbeitet da schon.

Ich könnte mich jetzt noch seitenweise darüber ergießen, welche anscheinend selbstverständlichen Eigenschaften so eine 20- bis 30-jährige Frau offenbar mit sich bringen sollte, aber ich denke, es langt. Ich will nun nicht zu weit ausholen, mich von diesem Standard des weiblichen Leserinnen-Archetypus abzugrenzen. Nur soviel: Ich habe NICHT fünfhundert Freunde und meine Mutter ruft mich nicht zu oft an. Ich habe mehr männliche als weibliche Freunde, von denen zugegebenermaßen einer wirklich schwul ist. Eine beste Freundin habe ich nicht, dafür aber eine Handvoll Menschen, denen ich mein Leben anvertrauen würde. Und eine "Girls-Clique" habe ich in meinem Leben höchstens in schweren Teenager-Tagen vermisst.

Da man nicht nur von sich auf andere schließen sollte, habe ich mal nachgedacht. Tatsächlich fallen mir in meinem näheren Bekanntenkreis durchaus Beispiele ein, die Frauenzeitschriften vermutlich adressieren und als ihre Zielgruppe erkennen. Zwei. Der Rest? Hat hier ein extremes (eher den Männern zugeordnetes) Hobby, da einen Pflegerjob, bei dem sie jede erdenkliche Schicht und nicht "nur" von 9 bis 5 abarbeiten muss. Dort eine vehemente Abneigung gegen ernährungswissenschaftlich anerkannte Abnehmtipps und: Die Nägel lackieren sie sich auch nicht, nicht einmal mit diesen neuen hübschen Mustern, wie neulich in der Zeitschrift XY präsentiert.

Wer denkt, die würden dann entsprechende Zeitschriften auch gar nicht lesen, ist auf dem Holzweg. Andersrum müsste man ja annehmen, jeder, in dessen Händen man den Rücken des jeweiligen Mediums erkennen kann, entspräche dann wohl auch dem jeweiligen Leserinnenklischee. Wohl kaum.
Warum ich die Zeitschrift lese? Weil ich sie mag. Ich entspreche zwar nicht der Vorstellung der Redaktion von ihrem Publikum, aber viele Themen und die lustige und durchaus intelligente Schreibweise entsprechen meinem Geschmack. Das reicht mir.

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