Dienstag, 4. Dezember 2012

Gut, danke

"Wie geht's dir?", fragte mich einmal jemand. Er wirkte interessiert, sein Blick eine Mischung aus Fürsorglichkeit und freundlicher Wärme und überhaupt war das ein sehr angenehmer Moment. Ich hatte schon oft gehört, dass manch einer sich schneller aus dieser Frage mit "Gut, danke" herausgewunden hatte, als der andere auch nur Zweifel haben hätte können. Dass es das beinahe heilige Grundgesetz des Smalltalks war, die Antwort auf maximal drei Worte begrenzt zu halten. Wo kämen wir auch hin, wenn da auf einmal jeder auspacken würde und beim alltäglichen Geplauder mal eben die gesammelten Tragödien seiner Lebensgeschichte herunterjaulen würde.

Aber da war dann dieser Moment. Ich fühlte, dies war ein besonderer. Ich hatte schon den Mund geöffnet, um zu sagen "Gut, danke, selbst?" und hielt inne. Ich schloss ihn wieder, sah kurz auf den Boden, sah ihn wieder an und sagte dann "Ehrlich gesagt geht es mir nicht gut." Na und was antwortete er darauf? Richtig, er  erkundigte sich, was mir fehle. Das wollte ich ihm doch aber nun gar nicht sagen, auch nicht, wenn ich es gewusst hätte. Und, ich schwöre, er hat mich nie wieder ohne diesen besorgten Blick angesehen.

Dann war da eine andere Begegnung. Ein Mädchen, zu dem ich mich sehr verbunden fühlte. Es war unheimlich offen, charismatisch und dann doch wieder still genug, um eine wahre Tiefe an Empathie und Intelligenz vermuten zu lassen. Auch sie konfrontierte mich mit der bedeutungsschwangeren Frage. Ich holte tief Luft. "Weißt du, manchmal wache ich morgens auf und ich muss mich schon sehr wundern, dass ich da bin, wo ich bin. Und überhaupt, was ist dann an dem Tag? Fühlst du dich nicht auch manchmal ein bisschen verloren, so als ob da gar kein Boden wär unter den Füßen und man einfach so in Ahnungslosigkeit dahin schwebt? Kennst du die Angst, dass da am Ende gar nichts wartet?"
Vielleicht hätte ich das alles wirklich sagen sollen. Vielleicht hätte sie mich verstanden und ich hätte mich ein bisschen weniger alleine mit meinen Gedanken gefühlt.
Aber ich hatte zuviel Angst vor dem heiligen Grundgesetz. Und auch ein bisschen, was sie von mir denken würde.
Sie fragte also: "Wie geht's dir?"
Und ich sagte: "Danke, gut."

2 Kommentare:

  1. Vielleicht ein bisschen weniger Gedanken über das "heilige Grundgesetz" machen. Aber mit dieser Ausführlichkeit und eingebauter Philosophie&Psychologie würden sich manche in dem Moment auch überfahren fühlen, ohne dass sie es "oberflächlich" meinen.

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  2. Es ist grundsätzlich nicht oberflächlich, wenn man einfach nicht vertieft über Gefühlslagen sprechen möchte, finde ich :-) Es ging mir mehr darum, dass es manchmal interessant wäre, herauszufinden, wie Menschen wohl reagieren würden.

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