Im Hotel dürfte es in der Regel so sein, dass jeder seines Weges geht und eben Urlaub macht. Auf Reisen kommt man zusammen und, wenn es sich eben ergibt, bleibt auch zusammen. Viele Menschen sehen genau in diesem freien, unkalkulier- und unerwartbarem Zustand des "Jederzeit alles möglich" den tatsächlich süchtig machenden Reiz des Reisens. So ist es dann tatsächlich so, dass sich aus manch einem Gespräch langsam aber sicher gemeinsame Pläne stricken, gemeinsame Geschichten ausgetauscht werden und sich letztlich gefühlt wird, als kenne man sich eigentlich schon ewig. Ich glaube nicht unbedingt an Seelenverwandtschaft, aber der Begriff "soul mates" gefällt mir gut. Man ist vielleicht nicht verwandt, aber die Seelen passen zueinander. Oder halt der Charakter. Isjajetzauchegal.'
Auch wenn das Solidarisieren des Reisens und das Menschen-Kennenlernen auf eine sonst selten bestehende Weise ein wunderschönes Thema ist, möchte ich darauf nun nicht hinaus. Es war nur eine vielleicht etwas ausschweifend weil mit schönen Erinnerungen verbundene Einleitung.
Ich hab dann nämlich mal was ausprobiert. Wie man sich so traf, an Frühstückstisch, Couch vorm Fernseher, draußen auf der Bank oder am Strand, da lernte ich die Leute kennen. Und war jemand ganz anderes als ich bin. Ich erzählte Geschichten, die nicht stimmten. Ich erfand Eigenschaften, die ich nicht hatte. Ja, ich spielte sie sogar. Es war kein Lügen im eigentlichen Sinne, denn ich blieb immer nahe der Wahrheit. Aber ich probierte mich in Realitäten. Ich dichtete mir keinen Doktortitel an, aber behauptete, schon einmal in einer physiologischen Praxis ausgeholfen zu haben. Ich machte mich nicht zur Alkoholikerin aber erzählte von wilden Feten, die so tatsächlich nur in meinem Kopf stattgefunden hatten.
Ist das schäbig? Vielleicht. Der Unterhaltungswert war wunderbar und ich glaube, es hatte ohnehin keiner vor, eine Biografie über mein Leben zu schreiben. Der Wahrheitsgehalt meiner Aussagen war somit irgendwo auch wieder egal. Erzählt man Geschichten, sind die ja auch nicht immer wahr. Aber naja, sein Urteil über mein Verhalten darf sich freilich jeder selber bilden. Für mich war es ein spannendes Experimentieren mit meinen grade mal 18 Lebensjahren, in denen man sich nunmal "noch nicht richtig gefunden hat", um es so schön platt zu formulieren.
Das interessante Resultat: Je lebhafter ich Geschichten erzählte, je mehr ich gestikulierte, lachte und die anderen glauben machen konnte, sie wären wirklich passiert (absurd waren sie schließlich nie), desto mehr glaubte ich sie selber. Ich freute mich an meinen Erlebnissen, an den Momenten, die ich in schillernden Farben in die Luft zeichnete. Vergaß bald fast, dass es doch nicht wirklich echt war. Traurig war ich darüber dann nie mehr. Die Fantasie schien zu reichen.
Auch wenn ich stundenlang im Bus saß, am Meer spazieren ging und meinen Gedanken nachhing, tauchten sie auf, alle diese Träume. Ich lebte sie, ich spürte sie, und fühlte mich, als ich zurück in mein Zimmer kam, als hätte ich alles wirklich erlebt. Die Grenzen zwischen echt und Kopf lösten sich mehr und mehr, je freier ich mich fühlte.
Und das macht mich bis heute nachdenklich. Denn auch heute taucht immer wieder der Satz eines sehr klugen Menschens in meinem Kopf auf. "Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt". Albert Einstein, Gott habe ihn selig.
Wenn man die Fantasie hat, sich alle Träume zu erschaffen, die man sich nur wünschen kann und vollends über reale Grenzen hinausgehen kann, um das Ungreifbare zu spüren. Ganz ohne Drogen und mit der reinen Vorstellungskraft.
Wie weit darf man da gehen? Ist es wichtig, dass Dinge wirklich passiert sind? Sollte man sich nicht zu sehr in Träumen verlieren oder ist es genau das, was die schönste Kunst des Lebens sein könnte?
Ganz ehrlich, ich weiß es nicht.
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