Sonntag, 11. November 2012

Loch in der Leggins

Meine Lieblingsleggins hat ein Loch am Knie. Das kommt daher, dass sie in ihrer privilegierten Position als Lieblingsleggins freilich auch oft und schon seit vielen Jahren getragen wurde und wird. Nebst inzwischen idealer Anschmiegform und ausgedünntem Kuschelstoff hat sich wie bereits erwähnt leider ein Schönheitsfehler eingeschlichen. Ein kleiner Riss am Knie, der als harmloser Piekser anfing und sich unbarmherzig ausbreitete.

Ich habe die Leggins noch, meine Mutter hasst sie. Ich trage sie, wann immer ich finde, dass ich nun wirklich nicht schick auszusehen brauche. Beispielsweise bei einem Ausflug durch die Wälder. Eichhörnchen, Moos und Bäume werden sich schon nicht dran stören. Auch dass einem andere Wanderer begegnen war mir in diesem Moment herzlich egal. Der leicht resignierte kurze Blick meiner Mutter auf das Loch sprach allerdings Bände, ohne dass sie auch nur ein Wort sagte. Sie ist sensibel und will mir nicht zu nahe treten, daher hielt sie sich zurück. Aber hier war die erste Verunsicherung gesteckt.

Neulich trug ich sie zum Laufen. Ebenfalls eine von diesen Situationen, in denen ich der festen Überzeugung bin, dass es hierbei um etwas anderes gehen muss, als das Zurschaustellen von Kleidung. Frei sein, ist mein Gedanke dahinter, mich zu kleiden, wie ich möchte. Und grad beim Laufen ist dieses Freisein eigentlich genau der Grund, warum ich diesem Sport überhaupt nachgehe. Wie, wenn man selbst in diesem Moment der inneren Kraft und Ruhe auf äußerliche Feinheiten schauen müsste? Unangenehmer Gedanke.

Aber auch hier blieb ich nicht verschont. Wie ich die letzten Meter zurück zur Wohnung ging, die Hörstopsel bereits aus dem Ohr, hörte ich sie kichern, kaum volljährige Weibsen. In einer Clique stehen sie da, eine kompromisslose Jury mit Glitzer, Glamour und Glanz-Fellkragenjäckchen, die nicht verstehen können, wie ich mich nur so gehen lassen kann. "Ich glaub ich kauf ihr eine neue Leggins", raunt die eine der anderen zu (nicht leise genug, offensichtlich, denn ich hörte es). Es hat mich verletzt, obwohl einem sowas doch eigentlich egal sein sollte. Das war mein Gedanke. Zunächst dachte ich trotzig "Ey Alte, lass mal, ich hätt das Geld schon selber, aber nicht jeder hat es nötig, sich über Äußerlichkeiten zu definieren."

Fühlte mich allerdings mit diesem Gedanken nicht wohl. Er klang für mich nicht nur selbstgerecht, sondern auch anmaßend und verurteilend. Eben das, was sie tat, tat ich sozusagen einfach zurück. Bringt einen das weiter? Ich schätze nicht.
Wie weit muss man sich anpassen? Wie weit nimmt man in Kauf, beleidigt zu werden oder auch nur resignierte Blicke zu ernten? Ist es das ganze wirklich wert, muss man immer auf Teufel komm raus individuell sein?

Letztens habe ich die Leggins zum Laufen wieder getragen. Hab einfach nicht dran gedacht. Und an diesem Tag lächelten mich gleich fünf Leute unterwegs ganz freundlich an.
Wenn man sich anpassen will, muss man ja erstmal wissen, was denn nun richtig ist. Die einen finden ein Loch in der Leggins assig, die anderen finden es niedlich und locker. Und, das allerbeste: Es gibt sogar solche, denen die Beschaffenheit meiner Hose einfach wurscht ist.
Ich glaub, wenn genau diesen Leuten was an mir auffallen würde, was ihnen nicht passt. Ja, dann würd ich mich gern anpassen.

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