Sonntag, 15. Mai 2011

Wie digital sind wir wirklich?

"Männer, die brauchen was zum Anfassen!" Eigentlich ein eher auf primitive Reize ausgelegter Spruch, dient mir  unerwarteterweise (ja auch für mich selbst) als Einleitung für das Thema, über das ich hier schreiben will. Während zitierter Spruch auf Sexualität abzielt, möchte ich seine Bedeutung um einiges ausweiten. Um genau zu sein: auf alles.


Wir bewegen uns in einer Welt, die wir mit unseren Sinnesorganen wahrnehmen. Die Evolution hat uns mit Augen, Geruchssinn, Tastsinn, Geschmackssinn und Gehör ausgestattet, damit wir das aufnehmen können, was um uns herum passiert. Zusammen mit dem Gehirn ist es das, was uns Erlebnisse, unvergessliche Momente, aber auch den Alltag beschert. Die Käsespätzle, nur von Mama so himmlisch lecker. Warmes Salzwasser das erste Mal seit langem im Urlaub an der Haut spüren. Das Prickeln beim ersten Kuss.


Wir leben jedoch auch in einer Welt, die immer digitaler wird. Computerisierung, Mobilisierung, Digitalisierung, Vernetzung, sind Worte, die einem nicht nur als Kommunikationswissenschaftler häufig über den Weg laufen und freundlich grüßen. Cybergesichter, Schrift statt Sprache, und wenn doch Sprache, dann entweder aufgenommen oder übertragen. Nichts, das in der realen Welt passiert, sondern rein auf den Bildschirm projeziert um uns etwas zu vermitteln. Einen Artikel, Fotos, Informationen und manchmal sogar: Eine ganze Welt. Nahezu alles geht heutzutage online. Ob man sich nun ein neues T-Shirt, eine DVD, sogar einen Kaugummi bestellen oder mit der besten Freundin quatschen will. Ein neues WG-Zimmer sucht, einen Busplan oder Reisetipps für den nächstanstehenden Urlaub. Und es wird immer mehr.
Fix etwas bei Google eingegeben (ohne das, nebenbei bemerkt, die meisten Menschen, einschließlich meinerselbst, inzwischen aufgeschmissen wären), das bestklingende Ergebnis angeklickt und dann den meist simpel gehaltenen Erklärungen gefolgt. Das Internet ist ja so easy-going, so unkompliziert.


Die Frage, die ich nun jedoch stellen möchte, ist simpel und doch kann sie einen bei näherer Betrachtung in tiefste Grübeleien versetzen. Sie lautet: Reicht das?
Eine Folge von Buchstaben, Bildern, auch Sounds, jedoch allesamt: auf einem Bildschirm. An einem Computer. In einem Zimmer. Stellen Sie sich das mal in der Vogelperspektive vor, insbesondere wenn Sie viel Zeit am Rechner verbringen. Da laufen Menschen draußen rum, es wuselt. Der eine geht einkaufen, der nächste gärtnert und der dritte joggt. Nur Sie sitzen (besonders lustig sieht die Vorstellung übrigens im Zeitraffer aus) die ganze Zeit vor einem Bildschirm. An einem Computer. In einem Zimmer.
"Ist ja mit Fernsehen das Gleiche!", mag jetzt vielleicht jemand sagen und hat damit auch recht. Nur hat der Fernseher ohne jegliche Interaktionsmöglichkeit wesentlich schneller seinen Reiz verloren, als so ein Computer mit Internetanschluss. Denn der Internetanschluss ist eine Anbindung zu einer riesigen Welt.
Ich möchte hier jedoch gar niemanden kritiseren, der gerne etwas ruhigeres tut, als ständig unterwegs zu sein. Doch jemand, der ein Buch liest, hat echte Seiten und einen Umschlag in der Hand. Jemand, der näht, hat Stoff, Nadel und Faden in der Hand.
Jemand, der sich mit einem Freund auf einen Kaffe trifft, um mit ihm zu plaudern und sich übers Neuste auszutauschen, sieht ihn, riecht ihn. Nimmt jede einzelne Körperbewegung des Gegenübers wahr, die Körpersprache. Merkt Veränderungen in seiner Mimik, seiner Gestik. Spürt seine Ausstrahlung, sieht, wie er sich gibt und ob er wieder das selbe Poloshirt wie immer anhat, oder endlich mal was Neues trägt.


Ich glaube, man versteht, worauf ich hinauswill: Es ist alles ECHT. Ich glaube, dass wir das Lächeln auf den Lippen unseres Freundes brauchen. Den Geruch von Regen. Und den Geschmack vom ersten Straciatella-Eis im Sommer.
Ich glaube, das wir genau diese Realität brauchen, die nicht auf einen Bildschirm zu bannen ist.
Denn so sehr sich das Internet auch bemüht, so realitätsgetreu und möglichkeitsreich zu sein wie nur irgends möglich; Es ist dennoch: Auf einem Bildschirm. An einem Computer. In einem Zimmer.

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