Mittwoch, 12. August 2015

Ganz normale Irre

Wer in der Früh gegen halb acht den Mönchsberg besteigt und sich dabei auf eine gemütliche Ruhe, alleinig gestört durch ein paar zwitschernde Vögel und im Wind rauschende Bäume, freut, der hat die Rechnung nicht mit mir gemacht. Seit ich meinen Knorpeln und Knochen zu Liebe beschlossen habe, das Laufpensum deutlich zu drosseln, habe ich mir nämlich ein neues Hobby gefunden: Singen. Laut. Im Wald. Auf dem Mönchsberg.

Eigentlich bin ich vollkommen wahnsinnig. Da läuft jeder bis aufs Mark beschämt zur Farbe einer erntereifen Kirschtomate an, sobald ihn jemand beim allmorgendlichen Duschgesang belauscht – und ich wandere durch die Gegend und plärre mir dir Seele aus dem Leib, als gäbe es keinen weiteren Morgen mehr. Passanten stören mich nur am Anfang, wenn ich einmal hochgefahren und warmgesungen bin, so ignoriere ich sie geflissentlich.

Das bringt mich in letzter Zeit zum Nachdenken. Warum sehen Menschen eigentlich bei allem, was sie mit Leidenschaft tun, so unsagbar dämlich aus? Vielleicht ist das so wie mit Kinder-Wollenden, die nur noch Schwangere sehen, und unglücklich Verliebte, die scheinbar nur noch von glücklichen Paaren umgeben zu sein scheinen: Aber ich sehe nur noch Wahnsinnige und Seltsame um mich herum.

Ich gehe ins Fitness-Center und das erste, was ich höre, ist kein "Guten Morgen!", kein freundliches Gelächter oder beifälliges Geplauder. Es ist ein lautstarkes Grunzen. "Hmpf! HA! Hmpf! Grrrrrr! Hmpf! GAAA!" Guten Morgen, Alexander (Name geändert). Alexander bekommt nicht genug vom Krafttraining und man sieht es ihm an. Er sieht ja auch echt gut aus, hübsches Gesicht und Muskeln ohne Ende, die jedes Mädel jenseits der 100 Kilo wie eine zarte Gazelle in die Lüfte schwingen könnten. Die lässige Art, mit der Menschen im Alltag begrüßt, lässt keinerlei Rückschluss auf die Geräusche zu, die besagter Muskelman im Fitnessstudio von sich gibt. Verrückt.


Und im Chor erst. Regelmäßig muss ich mir mit aller Macht sämtliche Lippen zerbeißen, um zu verhindern, in hysterisches Gelächter zu verfallen. Eine von mir äußerst geschätzte Autorin schrieb mal von Bassisten, die den Mund wie verziehen wie ein garstiger Frosch. Ich muss sagen, so treffend wäre mir die Beschreibung in hundert Jahren nicht eingefallen. Körperspannung, in den Bauch atmen, sich dabei völlig der Musik hingeben: Ein tolles Gefühl, bei dem auch ich mit aller Sicherheit zeitweise so intelligent aussehe wie ein betrunkener Hamster. Mindestens jedenfalls so dämlich wie die Dame direkt vor meinen Augen, die den Mund so ausformt, dass ich befürchte, in ihm bald die gesamte Fliegenwelt des Raumes zu tragen.

Ich könnte diesen Artikel ewig so weiterführen. Ob es Menschen beim Meditationsspaziergang sind, die im See liegen und dabei vollkommen entspannen, solche, die selbstvergessen tanzen oder die Crème de la Crème der Wahnsinnigen, die lauthals in aller Öffentlichkeit beginnen zu singen. 

Ich mache trotzdem weiter. Und wissen Sie auch warum? Ich bin eine ganz normale Irre.

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