Dienstag, 9. September 2014

Warum ich Hippies mag

Neulich sah ich wieder eine von ihnen. Mit nackerten Füßen saß sie am Rande des Fußgängerweges an der Salzach, zwirbelte eine ihrer blonden Dreadlocks durch die Finger und las dabei ganz konzentriert in einem Buch mit buntem Umschlag. Ihre Beine waren angezogen, die viel zu große Baumwollhose flatterte im Flusswind.

Ich radelte an ihr vorbei und konnte gar nicht anders, als sie fröhlich anzugrinsen. Komplett versunken in ihrer Lektüre bemerkte sie mich nicht. Doch die mir entgegen kommende Dame, ebenfalls Radl, schätzungsweise Ende 50, fing meinen freudigen Blick auf, warf einen kurzen Blick auf das Dreadlockmädchen und erwiderte dann mein Grinsen. So grinsten wir uns an, als teilten wir ein gemeinsames Geheimnis.

Woher stammte es, das Grinsen? Was war das Geheimnis? Ich glaube es war schlicht und ergreifend: So sehr wir Hippies und ähnliche fleischgewordene Interpretationsformen manchmal belächeln, so beflügelnd und befreiend ist ihr Anblick.

Es ist doch so: Männer in Anzügen mit Aktenkoffern wie sie sie mit ernstem und gelangweilten Blick durch die Gegend tragen, sehen wir oft genug. Genauso das weibliche Pendant, das statt gerade geschnittener Hose vielleicht gerade noch so mutig ist, einen – das Knie natürlich bedeckenden – grauen oder dunkelblauen Rock über der anthrazitfarbenen Strumpfhose zu ziehen und mit möglichst lauten Stampfestöckelschuhen durch die Gegend zu jonglieren.

Ebenso der Einheitslook, den man in mittel- bis nordeuropäischen Breitengraden nun einmal gerne trägt. Funktionsjacken von Tchibo, die die Strickjacke respektive das weiße T-Shirt von C&A überdeckt, mitteleng geschnittene Jeans mit Gesäßapplikation, farblose Turnschuh oder Sandalen von Geox und dazu vielleicht noch ein möglichst wenig individuell designter Rucksack. Praktisch, einfach, komfortabel.

Nein, ich plädiere nicht dafür, dass sich jetzt alle zu Modepüppchen aufstylen, auf dass sich die Salzburger Innenstadt und Salzachwege zu einem semiurbanen Catwalk verwandeln. Erstens tut es das hier und da genauso – japanische und anderweitig asiatische Gäste lassen grüßen – zweitens ist auch das in meinen Augen kein befreienderer Anblick. Statt dem einheitlichen Businesslook ihres Arbeitsplatzes unterwerfen sich die neuschicken Stylo-People den aktuellen Modetrends. So angenehm kann dieser wie Quietscheplastik aussehender Minirock wirklich nicht zu tragen sein.

Da gibt es nur einen Menschenschlag, der mir mit seiner Kluft ein herzliches spontanes Lächeln auf die Lippen zaubert. Sie wandeln durch die Gegend mit unglaublich gemütlich aussehender Kleidung in Größen zwischen XXL und Zirkuszelt, tragen sämtliche vorhandenen Regenbogenfarben (am liebsten alle auf einmal), haben entweder kunstvoll gezwirbelte oder einfach nur ungekämmte Haare und strahlen schon von weitem aus: Es interessiert mich ehrlich einen Scheiß, was die anderen von mir denken.

Herrlich. Ich könnte diese Menschen abknutschen, jeden einzelnen Batik-tragenden von ihnen. Nicht, weil ich mich so gut mit der ursprünglichen Flower-Power-Bewegung auskenne und mich daher mit ihr assoziiere. In diesem Fall bin ich bei weitem nicht so tieftragend in meinen Assoziationen, dass ich Anti-Krieg und Pro-Marihuana mit in Erwägung ziehen würde. Hippie sein bedeutet nach meiner Auffassung einfach, ziemlich lässig und entspannt durchs Leben zu gehen. Mit locker sitzender bunter Kleidung bringen diese Menschen eine Lebensfreude zum Ausdruck, die ich bei grauen Über-Knie-Röcken und gerade geschnittenen Nadelstreifenanzügen schmerzlich vermisse.

Am liebsten hätte ich mich zu dem Mädchen gesetzt. Nicht um mit ihr über glutenfreie Kekse und die Banalitäten dieser Welt zu diskutieren, sondern einfach nur, um mir auch meinerseits die Schuhe und Socken auszuziehen. So wie sie den sonnigen Tag in diesem Moment zu genießen schien, hätte ich mir keine schönere Vergnügungsart vorstellen können. Dieses Mädl brauchte keinen St. Tropez-Strand, brauchte keinen Cocktail mit Schirmchen und auch keinen teuren Schnickschnack.

Vor allem brauchte sie auch kein ausfüllendes Tagesprogramm, keine zu erledigenden Pflichten, ohne die sich in dieser Sekunde schon leer und faul fühlen würde. Genauso wenig kümmerte es sie, wo sie vielleicht sonst noch sitzen könnte (in der Wiese, im Park, im Freibad). Hier und jetzt schien das Plätzchen auf der Promenade am Fluss attraktiv und sie ließ sich mit dem einzigen Gegenstand, den sie bei sich trug, nieder: Ihrer heißgeliebten Lektüre.

Ich gebe zu, vielleicht assoziierte ich in dieser Begegnungssekunde auch zu viel. Vielleicht wartete die junge Frau lediglich auf ihren Bus, der sie in ihre Arbeit befördern sollte (die Haltestelle ist nicht weit entfernt). Das Buch war vielleicht in Wirklichkeit ihre Studienlektüre, die sie insgeheim hasste, dass sie sich furchtbar konzentrieren musste, um es nicht in irgendein Eck zu pfeffern.

Aber ich glaube das nicht. An welche Arbeitsstelle würde man ohne Schuhe (denn die standen auch nicht neben ihr) und in Zirkuszelthose antreten? Nein, das Mädchen war genau das, was ich in diesem Moment in ihr sah: Die Freiheit in Menschengestalt.

Und deswegen mag ich Hippies.

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