An einem besonders kalten Tag stieg ich aus dem Zug aus und begab mich in die nächtliche Finsternis von Graz. Mein Handy hatte ich vergessen, aber ich hatte eine Karte. Auf der war der Hauptbahnhof und eine von Google Maps (ja, ohne GPS aber bitte, das wird ja wohl noch erlaubt sein) entworfene Route zu meiner Unterkunft zu sehen. Ein bisschen sah das Ganze aus wie Salzburg, fand ich. Ein Fluß, ein Berg mit Schloss drauf, ja kann hinkommen. Wie ich sie vor mir hatte, wurde mir schlagartig klar, dass man sich eine Stadt wohl nicht nach einer schematischen Darstellung aus dem Internet imaginieren kann. Wie seltsam.
Ich fühlte mich beängstigt, verloren und dann wieder so froh wie sich wohl Columbus auf seiner Reise nach Amerika gefühlt haben muss. Mindestens. Ich machte mehr, als Reisepläne. Ich entwarf hier echte Lebenspläne. Denn in Graz war es nicht irgendein Haus mit irgendeinem Bett, in dem ich schlief. Es war eine potenzielle Wohnung, in der ich hätte wohnen können. Die wirklich lieben Menschen drinnen meine möglichen künftigen Mitbewohner. Es war ein Eintauchen in ein neues Leben. Denn von vorneherein stand die Aussicht offen vor mir: Du kannst hier bleiben. Genauso weiter ging es am nächsten Tag beim Vorstellungsgespräch in einem fröhlichen und freundlichen Büro. Auch hier: Du kannst hier arbeiten.
Was man nicht alles kann, dachte ich mir erst freudig-erregt. Doch wie die Euphorie abklang, war es mehr ein klägliches Stimmchen das seufze: "Tjaja, was man nicht alles kann...." Daraufhin dieser fiese Gnom, der immer genau dann das sagt, was ich nicht hören will, in dem Moment, wo ich es genau am wenigsten hören will: "Aber was willst du denn???!" Scht, nicht so laut! Ich denk ja schon nach.
Es ist ein Tauchen durch Möglichkeiten, eine Reise durch potenzielle Leben und Zukunfts-Malerei in der echten Welt, die ich betrieben habe.
Es ist niemand zu Schaden gekommen, weil ich rechtzeitig für mich erkannt habe, dass der richtige Weg meist doch eher eine Mischung aus Sehnsucht und pflichtbewusster Notwendigkeit ist.
Mir konnte jedoch nur wieder zu Sinne kommen, weil ich mir erlaubt habe, zu probieren. So weit zu schwimmen bis ich müde wurde und so tief zu buddeln, bis ich anstieß. Wäre ich da gesessen und meine Aufbruchstimmung mühevoll in ihr Grab gedrückt, hätte ich doch nie gewusst, wie das ist. Zu viel, zu müde, zu tief. Bevor man etwas glaubt, das man gehört hat, will man es erst mal mit eigenen Augen sehen. Man will etwas anfassen, bevor man akzeptiert, dass es existiert. So ging es mir eben mit Träumen.
Das Internet bietet das Ganze in virtueller Form. Man klickt sich durch Studiengänge in Amerika, Yogalehrerausbildungen in Indien und Entwicklungshilfe in Südafrika. Man sucht sich Freunde in der ganzen Welt via Couchsurfing, man beamt sich mit Google Maps gedanklich zu deren Wohnorten und schaut sie sich über Skype an. Und irgendwann fahr ich dann hin.
Und bleib dann dort? Genau hier beginnt der Traum.
Bleibt nur noch die Aufgabe des Lebens, die wahren Träume zu finden. Und sie zu verwirklichen. Eines Tages.