Sonntag, 17. Februar 2013

Neues Leben konstruieren

Ich bin ein wenig herumgereist in letzter Zeit. Zwar zeitlich nie so lange, wie auf Abenteurer-Rucksackreisen durch Australien, Neusee- und Thailand, aber dafür mindestens ebenso aufregend und alles verrückend. Ich wähle absichtlich das Wort "verrückt", weil ich das Wort in sich sehr passend für den Zustand finde, in dem ich mich derzeit wähne. Mit dem Zug war ich unterwegs nach Graz, nach München, nach Liechtenstein, also nicht unbedingt gigantische geographische Distanzen. Doch die mentalen Distanzen waren für mich umso größer. Denn wäre mein Kopf ein Zimmer, so war und bin ich dabei, ordentlich auszumisten, die Raumgestaltung noch einmal gründlich zu überdenken und - eben - sämtliche Möbel zu "verrücken". Ein kleiner mentaler Bauarbeiter, so fühlte ich mich. Dabei, mir mein Leben neu auf eine Plakatwand zu malen.

An einem besonders kalten Tag stieg ich aus dem Zug aus und begab mich in die nächtliche Finsternis von Graz. Mein Handy hatte ich vergessen, aber ich hatte eine Karte. Auf der war der Hauptbahnhof und eine von Google Maps (ja, ohne GPS aber bitte, das wird ja wohl noch erlaubt sein) entworfene Route zu meiner Unterkunft zu sehen. Ein bisschen sah das Ganze aus wie Salzburg, fand ich. Ein Fluß, ein Berg mit Schloss drauf, ja kann hinkommen. Wie ich sie vor mir hatte, wurde mir schlagartig klar, dass man sich eine Stadt wohl nicht nach einer schematischen Darstellung aus dem Internet imaginieren kann. Wie seltsam.

Ich fühlte mich beängstigt, verloren und dann wieder so froh wie sich wohl Columbus auf seiner Reise nach Amerika gefühlt haben muss. Mindestens. Ich machte mehr, als Reisepläne. Ich entwarf hier echte Lebenspläne. Denn in Graz war es nicht irgendein Haus mit irgendeinem Bett, in dem ich schlief. Es war eine potenzielle Wohnung, in der ich hätte wohnen können. Die wirklich lieben Menschen drinnen meine möglichen künftigen Mitbewohner. Es war ein Eintauchen in ein neues Leben. Denn von vorneherein stand die Aussicht offen vor mir: Du kannst hier bleiben. Genauso weiter ging es am nächsten Tag beim Vorstellungsgespräch in einem fröhlichen und freundlichen Büro. Auch hier: Du kannst hier arbeiten.
Was man nicht alles kann, dachte ich mir erst freudig-erregt. Doch wie die Euphorie abklang, war es mehr ein klägliches Stimmchen das seufze: "Tjaja, was man nicht alles kann...." Daraufhin dieser fiese Gnom, der immer genau dann das sagt, was ich nicht hören will, in dem Moment, wo ich es genau am wenigsten hören will: "Aber was willst du denn???!" Scht, nicht so laut! Ich denk ja schon nach.

Es ist ein Tauchen durch Möglichkeiten, eine Reise durch potenzielle Leben und Zukunfts-Malerei in der echten Welt, die ich betrieben habe.
Es ist niemand zu Schaden gekommen, weil ich rechtzeitig für mich erkannt habe, dass der richtige Weg meist doch eher eine Mischung aus Sehnsucht und pflichtbewusster Notwendigkeit ist.

Mir konnte jedoch nur wieder zu Sinne kommen, weil ich mir erlaubt habe, zu probieren. So weit zu schwimmen bis ich müde wurde und so tief zu buddeln, bis ich anstieß. Wäre ich da gesessen und meine Aufbruchstimmung mühevoll in ihr Grab gedrückt, hätte ich doch nie gewusst, wie das ist. Zu viel, zu müde, zu tief. Bevor man etwas glaubt, das man gehört hat, will man es erst mal mit eigenen Augen sehen. Man will etwas anfassen, bevor man akzeptiert, dass es existiert. So ging es mir eben mit Träumen.

Das Internet bietet das Ganze in virtueller Form. Man klickt sich durch Studiengänge in Amerika, Yogalehrerausbildungen in Indien und Entwicklungshilfe in Südafrika. Man sucht sich Freunde in der ganzen Welt via Couchsurfing, man beamt sich mit Google Maps gedanklich zu deren Wohnorten und schaut sie sich über Skype an. Und irgendwann fahr ich dann hin.
Und bleib dann dort? Genau hier beginnt der Traum. 

Bleibt nur noch die Aufgabe des Lebens, die wahren Träume zu finden. Und sie zu verwirklichen. Eines Tages.

Dienstag, 12. Februar 2013

Schrecklich-schöner Geburtstag

Die Stunde der Wahrheit naht. Mit düsteren Schritten höre ich sie herbei stampfen. Sie lässt sich Zeit, nur wenn ich mal kurz nicht hinsehe, legt sie auf einmal einen deutlichen Gang zu. So hart es ist, ich kann es nicht leugnen: Ich habe bald Geburtstag.

Ach, ich kann mich noch gut erinnern. Als Dreikäsehoch und auch als Teenager gab es wenig das so cool war wie der eigene Geburtstag. In jedem Alter gab es einfach etwas Besonderes an diesem Tag. Wenn man mit fünf schon mit Heißhunger den bei Mama bestellten Schokokuchen erwartete, der erst zum Geburtstag seinen herrlich schokoladig-geburtstagskuchigen Duft und Geschmack entfalten wollte. Ihn im Ofen roch und schon wusste: Ja, das wird ein toller Tag. Natürlich spielten auch Geschenke eine große Rolle. Und dann all die Gratulationen. Überhaupt, man war einfach der Held, an seinem Geburtstag. Mit fünf wollten dann alle neben einem sitzen beim feierlichen Wiener- und Brezenessen im Kindergarten, mit sieben gab's doch auch bei fast jeder Lehrerin irgendein ganz spezielles Geburtstags-Highlight.

Damals schon bedeutungsvoll, kam spätestens beim Erreichen eines zweistelligen Alters noch ein immens wichtiger Faktor hinzu: Die Party! Während man mit fünf noch alles die Mama hat herrichten lassen, angefangen von Kochtopf und Holzlöffel zum Topfschlagen bis zu den lustigen Luftballons, steigt nun der Ehrgeiz. Die eigene fette Party schmeißen, am besten ganz ohne (sonst eigentlich sehr geliebte aber in diesem Moment eben leider leider, sie mögen uns diese undankbaren Gedanken verzeihen) peinliche Eltern, das wär's doch. Besagte Erziehungsberechtigte wurden ins Kino geschickt, Wochen davor der Kopf zerbrochen über die richtige Musik und am Ende Unsummen für möglichst coole (ab einem hier nicht näher eingegrenztem Alter alkoholische) Getränke ausgegeben.

Egal ob noch unschuldige Kindergartenpupser, die brav nachmittags bei Kaba und Schokotorte saßen, oder später die 14-Jährigen, für die die eigentliche Party keinesfalls früher als 19 Uhr losgehen durfte: Da war immer dieses tolle Gefühl. Dieses sich wie ein heller Glücksschein über den ganzen Tag legende "Ich hab Geburtstag". Ein Gefühl, das sich nach einem weichen Kissen anfühlte, nach Kerzen und Schokolade roch und sich wie eine Mischung aus coolem Rock und schnulzig-glücklichem Pop anhörte.

Jetzt ist das irgendwie ein bisschen anders. Ich will mich deutlich abgrenzen von all jenen Geburtstagstragödianten, die weinerlich und nur unter Protest ein weiteres Lebensjahr für abgeschlossen akzeptieren. Die bei Nachfrage kurz aber sehr konzentriert nachdenken, ob sie nicht vielleicht doch lügen sollten, bevor sie seufzend ihr (wahres) Alter bekanntgeben.
Ich finde nicht, dass ich alt bin und ich finde (zumindest bis jetzt) auch die Tatsache an sich nicht schlimm, dass man als irdischen Wesen nunmal gewissen biologischen Notwendigkeiten wie der des Alterns unterworfen ist.

Aber der Geburtstag ist für mich schon irgendwie zu etwas anderem geworden: Der Tag, an dem ein Strich gezogen wird. Altes lasse ich Revue passieren, gesetzte Ziele des gerade abgeschlossenen Lebensjahres überdenke ich, bestimmte Schlussfolgerungen kommen zu Tage. Erkenntnisse, manche schmerzend, manche trügerisch, manche auch erst halbfertig. Es geschieht nicht immer freiwillig, aber es geht nicht anders. Ich weiß nicht mehr genau, was ich mir an Silvester 2011-2012 gedacht habe, aber sehr wohl, was mir an meinem 22. Geburtstag durch den Kopf gegangen ist. Man hat seine Träume und versucht ihnen, manchmal mit warmen Gefühl im Bauch und manchmal mit fast schmerzvoller Euphorie, näher zu kommen. Manchmal hat man Angst, die Träume zu vergessen, käme das gefühltermaßen doch einer Selbstverleumdung gleich. 

Und natürlich ist es auch ein Abschied. Abschied von dem was passiert ist, von der Freude über erreichte Ziele und der Trauer über gescheiterte Versuche im letzten Jahr. Man hatte ein Bild im Kopf, wie das Jahr werden könnte und gleicht nun ab: Besser? Schlechter? Oftmals: Einfach ganz anders als erwartet.

Am allermeisten kocht dann aber doch Freude hoch. Ein neues Jahr heißt 365 Tage mit jede Menge Chancen, Menschen, glücklichen, spannenden, vielleicht auch traurigen Momenten, mit Liebe und mit Hoffnung. Ein Hin und Her vom Zielestecken und Glücklich-im-Hier-und-Jetzt.

Alles in allem:

Ein neues Jahr und ein Riesen Stück Leben wartet nur darauf, erlebt zu werden.
Na, das klingt doch schon besser.

Samstag, 9. Februar 2013

Auf gute Freunde!

Wer heute etwas werden will, der erweitert seinen Horizont. Wer von einem spannenden Leben erzählen und mit der Zeit gehen möchte, der reist, fliegt, wechselt. Wechselt den Wohnort, Partner, Job, Hobbys und Gewohnheiten häufiger, als seine Schuhe. Wer still steht, verliert. Wer zufrieden ist, hat wohl noch nicht ausreichend hohe Ansprüche.

Ich wollte das nie direkt, aber diese Wandels- und Wandergelüste trieben mich immer weiter. Weit fort von Zuhause, bis ans andere Ende der Welt, durch Himmel und Hölle, mit einem Abstecher zuhause und weiter zu einem noch nicht erreichten ungewissem Ziel. Langsam komme ich nicht drumrum, mich zu fragen - Warum noch mal, das alles? Auf diese Frage brachten mich jedoch keine theoretisch-philosophischen Anwandlungen einer grüblerischen Nacht, noch nicht einmal selbstzerstörerisch-unfaire Vergleiche mit anderen, sondern ein ganz besonders schöner Abend mit ganz besonders schönen Momenten. Ein Abend mit zwei meiner engsten Freunde.

An dieser Stelle muss ich akuten Emotions- und Euphorieallergikern vom Weiterlesen tunlichst abraten, denn auf sehr kraftvolle, zuweilen schnulzig anmutende Formulierungen kann ich hier unmöglich verzichten. Ich stehe am Bahnhof und fühle mich unsicher und warte. Was grade noch wie ein guter Plan gewirkt hat, wird mal wieder von allen Seiten gedreht, beleuchtet, in Frage gestellt. So geht es mir oft, wenn ich mich auf eigenem Fuße bewege und auf zweite Absicherung verzichte. Je mehr Eigenverantwortung desto mehr eigene Fehler, je mehr Individualität und das Begehen seines "ganz eigenen Weges" desto weniger Fußstapfen, an denen man sich notfalls doch noch orientieren könnte. Jetzt stand ich hier am Bahnhof.

Und dann sind sie da. Zwei junge Männer inzwischen, in meinen Augen jedoch für immer die 15-jährigen Kumpels von damals. Ich werfe mich ihnen in die Arme und jeder Stress, jede Angst, in dieser Welt am falschen Fleck zu stehen, fällt urplötzlich von mir ab. Stattdessen ist da Wärme. Wenn ich sie mir so ansehe, die beiden Jungs, erzählen sie durch ihre bloße Anwesenheit all die tausend Geschichten, von denen ich nie genug bekommen kann.

Wir gehen ein Stück, wir reden, wir lachen. Vor allem sind wir einfach da und es spielt auf einmal keine Rolle mehr, welcher Tag und wieviel Uhr es ist, noch nicht mal das Kalenderjahr zählt jetzt noch. In diesem Moment gehört die Zeit einfach uns und steht still. Es ist auch ganz egal, was ich jetzt sage, denn, um es auf Gut-Bayerisch zu formulieren: Mir san mir.

Ja, und an dieser Stelle taucht dann wieder diese Frage auf: Warum kann das nicht reichen? Warum hat es mir damals nicht gereicht? Was soll das eigentlich alles, dieser Individualismus und Zeug, wenn man da am Glücklichsten ist, wo man sich in- und auswendig (aus-)kennt?

Mir ist klar, dass es darauf keine einzig wahre und doch viele möglicherweise richtige Antworten gibt. Dass einfach jede Medaille zwei Seiten hat und das Gras auf der gegenüberliegenden Seite 
selbst Zufriedene und Optimisten mit seinem Grün blenden kann.

Aber ich bin einfach glücklich, und das auch nach diesem Abend, inzwischen wieder da, wo mich mein Gefühl hingeleitet hat. Ich denke einfach zurück. Es gibt da einen Platz, an dem ich ausnahmsweise weder Sinn noch Bedeutung hinterfragen muss, an dem ich nicht zweifle und mögliche Alternativen abwäge. Und das beste: Ich kann jederzeit dorthin zurückkehren.


An die Seite meiner Freunde.