Ein paar Einhörner springen mir entgegen und tanzen einen Reigen um mich herum, bevor sie sich mit ihrem Saftpack mit vermutlich alkoholischem Inhalt weitermachen. Kurz darauf wackelt ein Mann in BH und Strapsen an mir vorbei, grüßt mich freundlich und geht auf's Klo. Nein, ich bin nicht vollkommen wahnsinnig geworden. Ich bin einfach nur auf einem Festival.
Ein lieber Freund und Kollege fragte mich, ob ich dabei sein wollte, beim Chiemsee Summer 2015. Kost und Logis für eine Woche und gratis zwei Hände voller Bands zu sehen, die ich schon dringend einmal live erleben wollte, dazu eine Woche Urlaub, die ich vor September noch übrig hatte. Die Sache war klar: Da samma dabei.
Das, was ich am Festival erlebt habe, war eine ziemlich süchtig machende Mischung aus genialer Andersartigkeit zum Alltag und doch einer gewissen Normalität, die ich mir im Kontrast zu rosa Einhörnern und plüschigen Elefanten erlaubt habe. Nach einem guten Frühstück im urbayerischen Hotel (in meiner Nachttischschublade lag selbstverständlich eine Bibel, die Junggesellen-Bettengröße stellen sie heute, glaube ich, nicht mehr her), machten wir uns kollektiv auf zum Festivalgelände.
Die Reste vom Vortag, unzählige Saftpäckchen, die sich sämtliche Besucher am Gelände mit aus Panzertape gefertigten Haltevorrichtungen griffbereit als Halskette umgehängt hatten, sowie Kippen, die Reste zur Unkenntlichkeit zersetzter Kostüme und was Festivalanten sonst so alles dabei haben (eine Menge): Es war wie von Zauberhand von den Tanzböden verschwunden.
Nachdem am Abend zuvor die Menge getobt hatte, zeitweilig kaum ein paar Zentimeter zwischen den Menschen zu finden waren und sich die verrückteste Party des Jahres jeden Tag neu vollzogen hatte, herrschte ein paar Stunden nach der aufgehenden Sonne wieder Ruhe und Frieden. Wir, die Arbeiter des Sommers, zogen auf ein Neues ein und machten uns an unser Werk.
Ich habe viele nette Leute kennen gelernt und eine eingeschworene Gemeinschaft mit dem festen Vorsatz, den Besuchern des Chiemsee Summers die coolste Zeit ihres Lebens zu bescheren. Selbst, wenn man völlig allein ins Kantinenzelt verschwand, fand man sich in netter Meute und in harmonischen Gesprächen wieder. Wir hatten alle eins gemeinsam: Wir arbeiteten hier. Das verband uns.
Die Zeitung, die wir verfassten, war schon alleine deswegen ein Riesenspaß, weil ich mich in Vokabular und Ausdrucksweisen austoben durfte, bis mir schwindlig wurde. Auf Recherche im Gelände wurde ich nahezu angebalzt, jeder wollte interviewt werden, jeder wollte auf ein Foto und seine Meinung sagen. Wer nur einmal an einem öffentlichen Ort zur Tageszeit Menschen zu einem Thema befragen musste, der weiß um die große Euphorie Bescheid, die ich hier an den Tag lege.
Persönlich hatte ich ein paar Dinge zu verdauen, das Festival half mir tatsächlich dabei. Natürlich war ich abgelenkt, noch viel mehr jedoch erfüllte mich ein überschwappendes Gefühl an Fröhlich- und Glückseligkeit, eine arbeitsame und gleichsam spannende Zeit in der Gemeinschaft mit der "Staff" zu verbringen, frisch erlebte Schwenke von Einhörnern und Elefanten auszutauschen und sich aufgehoben zu fühlen. Erwähntem Freund und Kollegen möchte ich an dieser Stelle von Herzen danken.
Ich kann wirklich behaupten: 2015 ist ein gewaltiger SUMMER!
Wer in der Früh gegen halb acht den Mönchsberg besteigt und sich dabei auf eine gemütliche Ruhe, alleinig gestört durch ein paar zwitschernde Vögel und im Wind rauschende Bäume, freut, der hat die Rechnung nicht mit mir gemacht. Seit ich meinen Knorpeln und Knochen zu Liebe beschlossen habe, das Laufpensum deutlich zu drosseln, habe ich mir nämlich ein neues Hobby gefunden: Singen. Laut. Im Wald. Auf dem Mönchsberg.
Eigentlich bin ich vollkommen wahnsinnig. Da läuft jeder bis aufs Mark beschämt zur Farbe einer erntereifen Kirschtomate an, sobald ihn jemand beim allmorgendlichen Duschgesang belauscht – und ich wandere durch die Gegend und plärre mir dir Seele aus dem Leib, als gäbe es keinen weiteren Morgen mehr. Passanten stören mich nur am Anfang, wenn ich einmal hochgefahren und warmgesungen bin, so ignoriere ich sie geflissentlich.
Das bringt mich in letzter Zeit zum Nachdenken. Warum sehen Menschen eigentlich bei allem, was sie mit Leidenschaft tun, so unsagbar dämlich aus? Vielleicht ist das so wie mit Kinder-Wollenden, die nur noch Schwangere sehen, und unglücklich Verliebte, die scheinbar nur noch von glücklichen Paaren umgeben zu sein scheinen: Aber ich sehe nur noch Wahnsinnige und Seltsame um mich herum.
Ich gehe ins Fitness-Center und das erste, was ich höre, ist kein "Guten Morgen!", kein freundliches Gelächter oder beifälliges Geplauder. Es ist ein lautstarkes Grunzen. "Hmpf! HA! Hmpf! Grrrrrr! Hmpf! GAAA!" Guten Morgen, Alexander (Name geändert). Alexander bekommt nicht genug vom Krafttraining und man sieht es ihm an. Er sieht ja auch echt gut aus, hübsches Gesicht und Muskeln ohne Ende, die jedes Mädel jenseits der 100 Kilo wie eine zarte Gazelle in die Lüfte schwingen könnten. Die lässige Art, mit der Menschen im Alltag begrüßt, lässt keinerlei Rückschluss auf die Geräusche zu, die besagter Muskelman im Fitnessstudio von sich gibt. Verrückt.
Und im Chor erst. Regelmäßig muss ich mir mit aller Macht sämtliche Lippen zerbeißen, um zu verhindern, in hysterisches Gelächter zu verfallen. Eine von mir äußerst geschätzte Autorin schrieb mal von Bassisten, die den Mund wie verziehen wie ein garstiger Frosch. Ich muss sagen, so treffend wäre mir die Beschreibung in hundert Jahren nicht eingefallen. Körperspannung, in den Bauch atmen, sich dabei völlig der Musik hingeben: Ein tolles Gefühl, bei dem auch ich mit aller Sicherheit zeitweise so intelligent aussehe wie ein betrunkener Hamster. Mindestens jedenfalls so dämlich wie die Dame direkt vor meinen Augen, die den Mund so ausformt, dass ich befürchte, in ihm bald die gesamte Fliegenwelt des Raumes zu tragen.
Ich könnte diesen Artikel ewig so weiterführen. Ob es Menschen beim Meditationsspaziergang sind, die im See liegen und dabei vollkommen entspannen, solche, die selbstvergessen tanzen oder die Crème de la Crème der Wahnsinnigen, die lauthals in aller Öffentlichkeit beginnen zu singen.
Ich mache trotzdem weiter. Und wissen Sie auch warum? Ich bin eine ganz normale Irre.