Sonntag, 6. Oktober 2013

Die Schönheit der Einsamkeit

Wenn es etwas gibt, das für mich ein unerklärbares und, sollte man es lösen müssen, unlösbares Mysterium ist und vielleicht immer bleiben wird, dann ist es wohl die bittersüße, wunderschöne und doch letztlich seelenzermalmende Einsamkeit. Alleine sein und einsam sein, das sind ja zwei sehr verschiedene Dinge. Wie weit sie auseinander liegen und wie schnell ersteres zu zweiterem führt, hängt wohl ab von der gesamten Persönlichkeit inklusive Erfahrungen und Prägung von kleinsten Kindesbeinen an. Hier stellt sich für mich die Frage: Wo ist mein persönlicher Wendepunkt? Und warum ist selbst das Überschreiten dieses oft weder zermürbend noch gar zermalmend sondern viel mehr ein erfrischender tiefer Atemzug der Seele?

Mit all dem habe ich mich vor circa einem Monat sehr intensiv auseinandergesetzt. Ich hatte mir nämlich etwas in den Kopf gesetzt: Ich wollte in meine eigenen vier Wände ziehen, um endlich das Müsli-, Milch- und Haarshampoo-teilende WG-Leben samt verrauchter Zimmer und ungespülter Töpfe hinter mir zu lassen. Ich war mir meiner ganz sicher, unbeschwert und glücklich, sonst von Zweifeln und Unentschlossenheiten geplagt, dieses Mal so überzeugt von meinem Plan zu sein. Bis ich eben jenen meinen Freunden und Eltern mitteilte. Wer schon Entscheidungen im Leben gefällt und geliebte (und vor allem liebende) Menschen miteinbezogen hat, den sehe ich an dieser Stelle verständnisvoll nicken. Sagen wir es so: Ihre Begeisterung hielt sich in Grenzen. Die Skepsis nicht. "Da wirst doch einsam", eine der motivierenden Prognosen. "Dir ist aber klar, dass du dann alles alleine regeln musst, gell", eine andere. "Du weißt ja, wir Menschen sind Herdentiere", sprach mein Vater und ich konnte förmlich sehen, wie sich seine Stirn hinter dem Telefonhörer sorgenvoll runzelte. Es gibt bestimmt Menschen, die stets selbstbewusst und fest mit beiden Beinen im Leben stehen und die sich durch nichts, aber auch durch gar nichts, aus der Ruhe bringen lassen. Bestimmt. Ich zähle leider nicht dazu. Das stets mit zweifelhafter Intonation hinterhergeschickte "Aber das musst du wissen" wollte dies unerklärlicherweise auch nicht erleichtern.

Mit zittrigen Händen, trockener Kehle und Augenringen von einer vorhergehend nahezu schlaflosen Nacht unterzeichnete ich schließlich an einem Montag Nachmittag den Mietvertrag für mein erstes kleines Garconniere. Ich übertreibe wirklich nur marginal, wenn ich sage, dass ich nun ungefähr verstehe, wie sich Faust wohl gefühlt haben muss, als er dem Teufel Mephisto seine Seele verschrieb.

Wie die Geschichte weiterging? Ich richtete die vier Wände ein und finde es nach wie vor erstaunlich, wie schnell das doch geht, so ein Zuhause zu wechseln. Ich fand Spaß daran, Couches, Fernsehtische und Stühle zu sagenhaft günstigen Preisen über die Studentenbörse zu erhandeln und war vor allem in den Tagen des Umzugs alles nur nicht: Einsam. Gemeinsam mit einem Freund samt dessen Karosserie bugsierte ich sämtliche Errungenschaften von A nach New Home B. Ich traf in diesen Tagen viele nette Menschen, durch die Börse und einfach so. Bei so einem Umzug macht man was mit: Vor allem Kontakte.

Nun, ein paar Wochen nach meinem Einzug, hatte ich trotz eines nicht gerade leeren Terminkalenders bereits Gelegenheit, allein zu sein. Ja, auch einsam zu sein. Wenn ich morgens die Augen aufschlage, weiß ich, dass es das einzige Augenpaar in unmittelbarer Nähe ist. Während ich noch im Halbschlaf darüber sinniere, ob ich mich nun schlecht fühlen solle, ziehe ich den Vorhang zurück und öffne das (geliebte weiße mit Goldgriffen versehene) Fenster. Morgenluft schlägt mir entgegen, herbstlich schon. Ein paar Leute schlurfen müde die Straße entlang. Ein paar sind auch schon munter am Arbeiten. Von unten aus der Bäckerei der Duft frisch gebackener Plunderteile. Der Moment ist berauschend und beruhigend zugleich. Es fühlt sich schön an, all das von hier oben aus meinem Fenster zu beobachten. Ganz allein. Wie ein Geheimnis, das ich nun auf diese Weise teile.

Spaziergänge alleine durch das nun immer tiefer werdende Herbstlaub, Schwimmen durch Wasser und dabei alles vergessen, begleitet nur von leisem Gluckern. Am Schreibtisch sitzen und schreiben und nachdenken. Im Bett liegen und nachdenken. Am Abend die Beine ausstrecken und sich an das Lieblingskissen lehnen, während man sich dem längst fälligen neuem Schmökerwerk widmet. Ja, ich glaube, man kann es bereits herauslesen: Ich mag das. Oder, um es mit den von einer weltbekannten Fast Food-Kette hoffnungslos verbrauchten drei Worten zu sagen: Ich liebe es.

Wie lange dauert es, bis ich einsam werde? Warum dauert das so lange manchmal und dann plötzlich will mir das Alleinsein dann wieder, vor allem nach einem Abschied, gar nicht mehr gelingen? Warum ist der Gedanke, immerzu von Freunden umgeben zu sein, für die meisten scheinbar die Vorstellung eines perfekten Tages, während ich eben diesen Tag sehr fürchten würde? Wieso ist es mein größter Albtraum, mich in einer Menschenmenge zu verlieren und nicht mehr zu mir selbst und zur Ruhe zu kommen?

Der Mensch ist ein soziales Wesen und ohne Kontakte wird er unglücklich. Soviel ist klar. Ich bin froh über meine Freunde und meine Familie. Ich brauche sie und wäre ich für immer alleine, könnte ich mich ebenso sofort begraben. 


Und eines Tages werde ich vielleicht auch noch verstehen lernen, wie sich das dann verhält mit dem Alleinsein.

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