Freitag, 25. Oktober 2013

Alltagssorgen einer Konsumentin

"Ohne Silikone." Das waren sie. Zwei Worte, die mir letzte Gewissheit über das geben sollten, was ich insgeheim schon lange befürchtet hatte. Auf einem harmlos dreinblickendem Shampoo-Fläschchen. Geahnt hatte ich es schon lange, der Verdacht hatte sich mit den Jahren und angesichts eines immer selbstbestimmteren Erwachsenenlebens zunehmend gesteigert. Ich hatte ihn verdrängt. Bis zu besagtem silikonfreien Shampoo.

Hier lasse ich Schwert und Rüstung sinken und gebe auf. Mein Geständnis: Ich bin ein Schluder-Konsument. Was ich damit meine? Ich bin grundsätzlich durchaus interessiert daran, gute Produkte zu verwenden, ich wünsche mir weder Krankheiten noch gequälte Tiere (oder Menschen). Besonders im Bereich des Gewissens mache ich bereits großartige Fortschritte und kaufe nicht mehr unbedacht T-Shirts "made in Bangladesh" oder Äpfel aus Mesopotamien. Die Menschheit respektive Mutter Erde soll nicht zuletzt an mir zugrunde gehen.

Aber genug der präventiven Selbstrechtfertigung, ich komme nun zum Kern des Pudels: Solange weder die Welt noch ein Mensch dafür drauf gehen muss, neige ich zu einem fast schon kindesähnlichem Urvertrauen. Wird schon nix schlimmes drin sein. Man könnte sagen: Ich mutiere zum bewusstseinsfreiem Konsumenten. Ich weiß nicht, was sich für mysteriöse Wirkstoffe in Reinigungsmitteln für Körper und Fußboden befinden. Solange alles sauber wird, was sauber werden soll, und hinterher sowohl meine Zehen als auch das Holzmuster auf dem Laminatboden noch aufzufinden sind, mache ich mir keine Sorgen. Ich überlasse es schlichtweg den weißbekittelten Menschen in der Chemieindustrie, welche magische Mixtur sie heute wieder gezaubert haben, der ich einen blitzblanken Boden zu verdanken habe.

Keine Silikone also. Aha. Im Umkehrschluss mutmaßte ich, blitzgescheit wie eh und je, dass in herkömmlichen Produkten wohl eben diese scheinbar besser zu unterlassenden Silikonstoffe enthalten sein mussten. Die normale Reaktion stelle ich mir ungefähr so: "Oh Gott, ihgitt, und sowas kam mir bislang in mein Haar! GOTT sei Dank wurde ich endlich über meinen Schmach aufgeklärt." Immerhin verständlich, man will doch nicht IRGENDWAS in seinen Haaren haben oder?
Tja. Meine Reaktion? Ein kurzer suchender Blick durch die Regale, ein kaum merkliches mentales Achselzucken und der Griff nach dem altbewährtem Shampoo. Da auf diesem nicht "ohne Silikone" angepriesen wurde, musste ich wohl mit dem Schlimmsten rechnen.

Es gibt so viele weitere Beispiele, ob in Kosmetik, Nahrung oder Plastikdosen. In einer Luxusgesellschaft wie der unseren scheint es zum liebsten Hobby zu werden, sich vor immer wieder neu entworfenen und kreativ in Gruselkostüm ausstaffierten Inhaltsstoffen zu fürchten. Wo früher noch diejenigen belächelt wurden, die auf Pommes "wegen dem Acrylamid, von dem kriegt man Krebs!" verzichteten, scheint heutzutage geradezu erwartet zu werden, dass mindestens eine Form der Intoleranz sowie Faible für das Weglassen spezieller Bestandteile pro Konsument vorhanden ist. Verkaufen lässt sich also folgerichtig nicht nur das formidabel, auf dem die drei heiligen Worte "Bio, natürlich, gesund" zu lesen sind, sondern auch "Ohne XY". XY kann hierbei mit jedem x-beliebigem Ding oder Wesen ersetzt werden und die Wirkung ist geschaffen: Aha, dieses Produkt macht mich also zum bewussten Konsumenten!

Worauf ich hinaus will? Soll man einfach ignorieren, was in Produkten drinnen ist und was nicht? Mitnichten. Ich finde es nur schwierig, den Hausverstand vom Doktrin der Kommerzunternehmen abzugrenzen. Milch und Salat vom Bauern, Honig vom befreundeten Imker und eigens angebautes Basilikum: Da ist es noch leicht, ein gutes Produkt als solches zu erkennen, zu erwerben, zu verputzen. Was aber mit dem Riesendschungel an Produkten anfangen, die sich in einer Überflussgesellschaft gegenseitig in wildem Konkurrenzkampf beinahe aus den Regalen schuppsen, und, könnten sie sich verbal kundlich tun, laut schreien würden: "Ich bin ohne Hast-du-noch-nie-gehört Numero 1!!", worauf der andere angestachelt erwidern würde "Achja, schön für dich, dafür komme ich VOLLKOMMEN ohne Kennst-du-eh-nicht Numero 23 aus!" Wem kann man denn da doch noch glauben? Was ist denn jetzt schlimm und was nur abergläubisches Gefasel?

Ja, dann informier dich doch, Mädchen, höre ich Engelchen und Teufelchen auf der Schulter in gemeinschaftlichem Frust seufzen. Offensichtlich sind sie sich einig: Meine Verwirrung liegt fern von gut und böse. Mädchen, jetzt heul mal nicht so rum.

Sie haben ja Recht. Es hilft nichts, angesichts einer großen Vielfalt an Produkten und damit auch größer werdenden Möglichkeiten, seinen Körper schädlichen Zusatzstoffen auszusetzen, einfach laut trällernd die Augen und Ohren zu verschließen, in der Hoffnung, dass eh alles gut wird. Auch wenn es sich manchmal sehr erleichternd anfühlt, ohne große Gedanken in das Regal und sein Lieblingsprodukt zu greifen. Ganz ohne die Inhaltsliste zu kennen.

Dass es in unserer aller Verantwortung liegt, in unserem Konsumverhalten auch das Schicksal von Tieren oder sich die Finger wund schuftenden Menschen zu berücksichtigen, daran möchte ich hier keinen Zweifel lassen. Aber das wäre ohnehin ein ganz eigenes Thema, geht es hierbei nicht um die eigene Gesundheit sondern um das Wohl anderer.

Silikone in Shampoos, so ergaben meine Recherchen, stehen in Verdacht, Allergien auszulösen. Außerdem wird das Haar mit der Zeit schwach und kraftlos. Ich habe mit mir selbst eine Übereinkunft getroffen. Sobald ich das erste Mal nach dem Haare-Waschen kräftig niesen muss und mir morgens überlege, meinem müden Haar ein Schluck meines Morgenkaffees abzugeben, dann schau ich auf die potenziell böse Zutatenliste meines bisherigen Shampoos. Und, versprochen, wenn ich darauf auch nur ein "silicon" lese, dann kommt ein neues Haarwaschmittel auf die Wanne. Basta!

Sonntag, 6. Oktober 2013

Die Schönheit der Einsamkeit

Wenn es etwas gibt, das für mich ein unerklärbares und, sollte man es lösen müssen, unlösbares Mysterium ist und vielleicht immer bleiben wird, dann ist es wohl die bittersüße, wunderschöne und doch letztlich seelenzermalmende Einsamkeit. Alleine sein und einsam sein, das sind ja zwei sehr verschiedene Dinge. Wie weit sie auseinander liegen und wie schnell ersteres zu zweiterem führt, hängt wohl ab von der gesamten Persönlichkeit inklusive Erfahrungen und Prägung von kleinsten Kindesbeinen an. Hier stellt sich für mich die Frage: Wo ist mein persönlicher Wendepunkt? Und warum ist selbst das Überschreiten dieses oft weder zermürbend noch gar zermalmend sondern viel mehr ein erfrischender tiefer Atemzug der Seele?

Mit all dem habe ich mich vor circa einem Monat sehr intensiv auseinandergesetzt. Ich hatte mir nämlich etwas in den Kopf gesetzt: Ich wollte in meine eigenen vier Wände ziehen, um endlich das Müsli-, Milch- und Haarshampoo-teilende WG-Leben samt verrauchter Zimmer und ungespülter Töpfe hinter mir zu lassen. Ich war mir meiner ganz sicher, unbeschwert und glücklich, sonst von Zweifeln und Unentschlossenheiten geplagt, dieses Mal so überzeugt von meinem Plan zu sein. Bis ich eben jenen meinen Freunden und Eltern mitteilte. Wer schon Entscheidungen im Leben gefällt und geliebte (und vor allem liebende) Menschen miteinbezogen hat, den sehe ich an dieser Stelle verständnisvoll nicken. Sagen wir es so: Ihre Begeisterung hielt sich in Grenzen. Die Skepsis nicht. "Da wirst doch einsam", eine der motivierenden Prognosen. "Dir ist aber klar, dass du dann alles alleine regeln musst, gell", eine andere. "Du weißt ja, wir Menschen sind Herdentiere", sprach mein Vater und ich konnte förmlich sehen, wie sich seine Stirn hinter dem Telefonhörer sorgenvoll runzelte. Es gibt bestimmt Menschen, die stets selbstbewusst und fest mit beiden Beinen im Leben stehen und die sich durch nichts, aber auch durch gar nichts, aus der Ruhe bringen lassen. Bestimmt. Ich zähle leider nicht dazu. Das stets mit zweifelhafter Intonation hinterhergeschickte "Aber das musst du wissen" wollte dies unerklärlicherweise auch nicht erleichtern.

Mit zittrigen Händen, trockener Kehle und Augenringen von einer vorhergehend nahezu schlaflosen Nacht unterzeichnete ich schließlich an einem Montag Nachmittag den Mietvertrag für mein erstes kleines Garconniere. Ich übertreibe wirklich nur marginal, wenn ich sage, dass ich nun ungefähr verstehe, wie sich Faust wohl gefühlt haben muss, als er dem Teufel Mephisto seine Seele verschrieb.

Wie die Geschichte weiterging? Ich richtete die vier Wände ein und finde es nach wie vor erstaunlich, wie schnell das doch geht, so ein Zuhause zu wechseln. Ich fand Spaß daran, Couches, Fernsehtische und Stühle zu sagenhaft günstigen Preisen über die Studentenbörse zu erhandeln und war vor allem in den Tagen des Umzugs alles nur nicht: Einsam. Gemeinsam mit einem Freund samt dessen Karosserie bugsierte ich sämtliche Errungenschaften von A nach New Home B. Ich traf in diesen Tagen viele nette Menschen, durch die Börse und einfach so. Bei so einem Umzug macht man was mit: Vor allem Kontakte.

Nun, ein paar Wochen nach meinem Einzug, hatte ich trotz eines nicht gerade leeren Terminkalenders bereits Gelegenheit, allein zu sein. Ja, auch einsam zu sein. Wenn ich morgens die Augen aufschlage, weiß ich, dass es das einzige Augenpaar in unmittelbarer Nähe ist. Während ich noch im Halbschlaf darüber sinniere, ob ich mich nun schlecht fühlen solle, ziehe ich den Vorhang zurück und öffne das (geliebte weiße mit Goldgriffen versehene) Fenster. Morgenluft schlägt mir entgegen, herbstlich schon. Ein paar Leute schlurfen müde die Straße entlang. Ein paar sind auch schon munter am Arbeiten. Von unten aus der Bäckerei der Duft frisch gebackener Plunderteile. Der Moment ist berauschend und beruhigend zugleich. Es fühlt sich schön an, all das von hier oben aus meinem Fenster zu beobachten. Ganz allein. Wie ein Geheimnis, das ich nun auf diese Weise teile.

Spaziergänge alleine durch das nun immer tiefer werdende Herbstlaub, Schwimmen durch Wasser und dabei alles vergessen, begleitet nur von leisem Gluckern. Am Schreibtisch sitzen und schreiben und nachdenken. Im Bett liegen und nachdenken. Am Abend die Beine ausstrecken und sich an das Lieblingskissen lehnen, während man sich dem längst fälligen neuem Schmökerwerk widmet. Ja, ich glaube, man kann es bereits herauslesen: Ich mag das. Oder, um es mit den von einer weltbekannten Fast Food-Kette hoffnungslos verbrauchten drei Worten zu sagen: Ich liebe es.

Wie lange dauert es, bis ich einsam werde? Warum dauert das so lange manchmal und dann plötzlich will mir das Alleinsein dann wieder, vor allem nach einem Abschied, gar nicht mehr gelingen? Warum ist der Gedanke, immerzu von Freunden umgeben zu sein, für die meisten scheinbar die Vorstellung eines perfekten Tages, während ich eben diesen Tag sehr fürchten würde? Wieso ist es mein größter Albtraum, mich in einer Menschenmenge zu verlieren und nicht mehr zu mir selbst und zur Ruhe zu kommen?

Der Mensch ist ein soziales Wesen und ohne Kontakte wird er unglücklich. Soviel ist klar. Ich bin froh über meine Freunde und meine Familie. Ich brauche sie und wäre ich für immer alleine, könnte ich mich ebenso sofort begraben. 


Und eines Tages werde ich vielleicht auch noch verstehen lernen, wie sich das dann verhält mit dem Alleinsein.