Sonntag, 19. August 2012

Liebes böses Facebook

Man liebt es, man hasst es, nichtsdestotrotz gilt für mehr als man glauben möchte: Man nutzt es. Wenige Dinge spalten derzeit die Menschen in ambivalente Gesinnungen wie Social Media und insbesondere Facebook. Wer etwas auf sich hält, findet Facebook natürlich blöd. Wer offen zugeben würde, seine Zeit mit Vorliebe damit zu verbringen, Posts zu schreiben, Bilder zu teilen und sich über die Likes und Shares mehr zu freuen, als über das letzte Geburtstagsgeschenk des besten Freundes, würde mit Verachtung gestraft. Wie armselig. Wie bemitleidenswert. Hat der denn kein Leben außerhalb von Facebook?

So der Status Quo. Schön und gut, jetzt werfen wir doch aber mal einen kurzen Blick auf die Nutzerdaten. 750 Millionen Menschen sind auf Facebook angemeldet. Davon sind frelich nicht alle aktive Nutzer - aber doch einige. Man muss sich ja nur mal überlegen: Das Ganze würde bei Weitem nicht so viel Furore erzeugen, wenn da nicht ordentlich im sozialen Netzwerk gewerkelt würde. Wenn da nicht so viele Menschen posten, liken, sharen und chatten würden, wäre das ganze Thema ja obsolet. Tatsächlich investieren eine Menge Leute bewusst und auch unbewusst einen beträchtlichen Teil ihrer Freizeit in den virtuellen Räumen der Kommunikation. Aber das offen zugeben? Nein, niemals! Entsprechende Artikel in Zeitschriften, im Internet und Diskussionen im Alltag machen eine äußerst kritische Haltung gegenüber Social Media und Facebook klar. Es sei etwas für Selbstdarsteller, die nach Aufmerksamkeit hungerten. Für Menschen, die es nicht zustande brächten, sich fern vom Computerbildschirm ein soziales Leben aufzubauen. Und nicht zuletzt für Stubenhocker, die sonst halt irgendein Videospiel zocken würden.

Dabei ist es doch so: In vielerlei Hinsichten entspricht Facebook genau unseren tief verwurzelten Bedürfnissen. Sei es Zugehörigkeit, Anerkennung, Selbstfindung und letztlich auch die Suche nach Nähe zu anderen Menschen. Kommunikation in ihrer reinsten Form findet auch dann statt, wenn jemand ein Bild postet und gespannt wartet, wie sein Umfeld darauf reagiert. War früher nicht anders, hat sich aber einfach verlagert und ist einfacher geworden. Die sozialen Bedürfnisse greifbarer. Damit ist auch die rege Nutzung zu erklären.

Man kann Facebok tatsächlich eine Menge ankreiden. Es ist weder der beste noch der schönste Weg, um mit anderen zu kommunizieren. Es ist kein Ersatz für das reale Miteinander an frischer Luft und mit tatsächlicher Nähe, Berührung, echtem Lachen. Es wird nie ein Treffen mit guten alten Freunden bei einer leckeren Tasse Kaffee und tausend geteilten Insidern ersetzen.

Aber selten war es so leicht, Diskussionen im öffentlichen Raum zu starten. Seiner eigenen Meinung Gehör zu verschaffen. Bilder und Ansichten mit Menschen zu teilen und die besten Freunde von früher, mit denen man tagtäglich die Schulbank drückte, wieder ausfindig zu machen.

Freunde auf Facebook sind nicht gleich Freunde im eigentlichen Sinne. Die eigenen Geheimnisse sollte man angesichts der Öffentlichkeit lieber nicht auf genau dieser Plattform zum Besten geben. Und genau wie im echten Leben, sollte man nicht außer Augen lassen, dass Aktionen eine Reaktion erzeugen könnten, möglicherweise auch eine negative.

Doch wer diese Regeln beachtet, der kann sich in den Facebook-Räumen ruhig austoben, finde ich. Und danach dazu stehen. Denn wer darüber nachdenkt, was öffentliche Anerkennung, das Kommunizieren mit anderen und gemeinsame Gespräche zu den verschiedensten Themen emotional so auslöst, der kommt wohl nicht umhin, durchaus auf positive Gefühle zu stoßen.
Letztlich ist Facebook und all die Aufmerksamkeitshascherei und Selbstdarstellerei meiner Meinung nach einfach nur eins: Zutiefst menschlich. Und das kann man jetzt finden, wie man möchte.

Freitag, 17. August 2012

Die Entkreativierung

Für die nächste Zeit habe ich mir einen Vorsatz der eher unüblicheren Art gefasst. Ich will nicht kreativ sein. Klingt komisch, ist aber so. Ursprung des Ganzen ist die Tendenz des Menschen, sich mit etwas unter Druck zu setzen. Er könnte es lassen und friedlich, fröhlich, beschwerdenfrei leben, bis ihn jemand nervt. Tut er aber nicht, er nervt sich lieber selber. Er stellt Limits, Aufgaben und Ansprüche an sich, die er sonst niemandem zumuten würde. Dabei legt er einen Befehlston an den Tag, der den bellenden Feldwebel beim Militär vor Neid erblassen ließe.

Dass man lieb zu sich sein sollte, eh klar. Dass die Ziele nicht zu hoch gesteckt und die eigenen bereits erbrachten Leistungen nicht zu geringfügig wertgeschätzt werden sollten: Alles schon mal gehört und mal mehr, mal weniger eingehalten.

Aber ich bin jetzt auf was gestoßen, wo mir wohlgemeinte Ratschläge von hohem pädagogischen Wert nicht helfen, vielleicht sogar alles nur noch schlimmer machen. Was ist, wenn man frei ist? Wenn man die Welt aus den Augen eines Kindes sieht, lacht, bastelt und träumt, wie man lustig ist. Und dann auf einmal der Wunsch daher kommt, einfach mal gelangweilt zu sein? Einfach mal stupide etwas zu leisten, das mit Spiel und Spaß wenig am Hut hat? Was ist wenn man bei all der lachenden Spielerei nicht mehr aus der Rolle rauskommt und sich gar nicht mehr traut, unkreativ zu sein?

Ich meine, ich habe es versucht, das Kreativsein, wenn ich doch garnicht will. Hab mir meinen Block überall hin mitgeschleppt, auf dass mir eine schöne Zeichnung oder ein wahlweise frohlockendes oder tieftrauriges Gedicht einfiele. Ich packte Nylonfaden, Perlen und Anleitung aus, um japanische Perlentiere zu zaubern. Ich kaufte bunten Stoff, Tücher und Nähutensilien, um ein Kleid zu schneidern.
Und fand mich wieder, auf meinem Bürostuhl sitzend. Traurig bis leicht verzweifelt das ganze Zeug anstierend. Was wollt ihr denn jetzt von mir? Mit bösen Blicken sahen sie mich an. "Sei kreativ! Komm schon! Du kannst es! Überleg doch, wie individuell und cool du dann bist!"
Ich stierte noch eine ganze Weile, Schuldgefühle fraßen sich langsam in mein Inneres hinein und ich war wie gelähmt. Und dann tat ich das, was ich immer tue, wenn ich grad nicht mehr weiter weiß. Ich zog mir meine Schuhe an und ging raus, spazieren. An der Salzach.

Ich habe beschlossen, nicht mehr so unbedingt kreativ zu sein. Das zum Trotze all der Pädagogen, die nicht müde werden zu erzählen, wie sehr man sich doch ausleben kann und wie glücklich das Gebastel doch machen soll. Was mit Händen machen und das Ergebnis in eben diesen am Ende stolz zu halten, zu seiner inneren Mitte finden. Bla bla bla. Ich bin lieber genau die, die ihre Zeit bei Facebook verschleudert und auch einfach mal nur rumsitzt. Und Sport macht, einfach weil man sich dann so stark fühlt. So erschöpft danach. Und eben gar nicht viel denken muss. Schon gar nicht basteln.

Ich habe zudem beschlossen, weder Freunde noch Zeitschriften um Rat zu ersuchen für Freizeitbeschäftigungen. Nähen Sie einen Teddy! Malen Sie die Wand an! Kaufen Sie Wachsmalkreiden und kreieren Sie ein kunterbuntes Mosaik-Bild! Stellen Sie sich vor, wie befreit Sie sich dann fühlen! Wie entspannt, losgelöst, ja, und hier das Zauberwort der heutigen Zeit: SELBSTVERWIRKLICHT! Die lustigen und sinnvollen Sachen, die man machen könnte, all diese Anregungen fließen nur hinein in das große klaffende Loch der Dinge-die-ich-tun-könnte-aber-ich-machs-halt-nicht. Noch schlimmer wird es, wenn man dann sieht, dass andere genau das, woran man manchmal so denkt, tatsächlich tun. Und dabei genau so cool und individuell und kreativ sind, wie man es selbst doch auch gern wär. Selbstgeschneidertes Gewand und Polaroidfotos inklusive.

Naja aber letztlich schreib ich grad diesen Blogpost. Vielleicht ist das auch des Rätsels Lösung. Entweder es fällt einem von selber ein, oder man lässt es.


Samstag, 4. August 2012

Was ist schon Unvernunft?

Neulich laß ich einen Artikel zum Thema "Sind wir zu vernünftig?". Der Titel hat mich sehr neugierig gemacht und mit einer gewissen Erwartungshaltung machte ich mich ans Lesen. Denn genau diese Frage habe ich mir gerade in letzter Zeit des öfteren gestellt.

Doch ich war erstaunt. In dem zwar gut geschriebenen Artikel ging es inhaltlich recht einseitig zu. Zum Thema unvernünftiges Verhalten, das als erstrebenswert geschildert wurde, war letztlich primär eins im Vordergrund: Essen. Ich weiß nicht, wer den Text geschrieben hat, doch es war offensichtlich jemand, der sich von Diätregeln und Ernährungstipps im Alltag recht kasteien lässt. "Endlich mal wieder ein Hanuta", "Schokolade statt Obst", waren sehnsuchtsvolle Seufzer, die in den Worten durchklangen. Fast schon konnte man die Gelüste auf Kalorienbomben durch das Papier hindurch schmecken.

Klar, Ernährung ist definitiv ein Thema, das sich heutzutage viele (viel zu) wichtig nehmen. Es soll nicht nur gesund, es soll auch kalorienarm und frei von jeglichem Geschmacksverstärker und Konservierungsstoff sein. Es sollte natürlich und vielseitig sein, am besten gleich bio und reich an Nährstoffen. Functional Food. Man kann sich wirklich reinsteigern in das, was, könnte man meinen, doch eigentlich primär der Sättigung und dem Genuss dienen soll.

Zu vernünftig. Schuldig im Sinne der Anklage

 

So, bevor ich jetzt selbst genau zu dieser kulinarischen Thematik ausschweife, komme ich mal auf den Punkt. Denn ursprünglich sollte es im oben erwähnten Artikel laut Titel doch darum gehen, auch mal unvernünftig zu sein.
Wir stehen morgens auf, haben eine mentale To-Do-Liste im Kopf, die wir Stück für Stück den Tag über abhaken. Die meiste Zeit ihres Lebens verbringen die Leute damit, entweder sinnvolle Tätigkeiten zu absolvieren oder sich über deren Sinnhaftigkeit Sorgen zu machen. Zweifel dominieren den Alltag, Pflichtbewusstsein wird als Vorwand genommen, um nicht zu überlegen, was man denn eigentlich WIRKLICH tun möchte. Ist es Angst, von der Norm abzuweichen? Sorge, am Ende mit leeren Händen da zu stehen, weil man einmal nicht einem Ziel nachgerannt ist?
Indirekter Vorwurf im Text: Im Leben der Menschen dominiert die Arbeit. Der Lebenslauf des Durchschnittsbürgers ist fest in der Hand von Vernunft-geprägten und wohl durchdachten Entscheidungen. Studium und Ausbildung auf Kosten wilder Jahre in zügelloser Freiheit. Überstunden und disziplinierte Arbeit auf Kosten eines freischaffenden Künstlerdaseins ohne viel Geld aber auch ohne Zwänge. Wir sind einfach zu vernünftig, so die Quintessenz des Artikels.

... weil Menschen halt so sind?

 

Ich stelle jetzt mal eine waghalsige These auf: Ich glaube, letzten Endes MÖCHTE der Mensch einfach sinnvolles tun. Er möchte gebraucht werden, Aufgaben erledigen, sich gut fühlen, weil er etwas getan hat. Die Erziehung ist schuld, sagen die einen. Die anderen führen es auf die Leistungsgesellschaft zurück. Ich behaupte: Es ist schlicht und ergreifend Evolution. Mal im Ernst, können Sie sich vorstellen, dass sic Steinzeitmenschen früher sich sorgten, aufgrund pausenloser Bisonjagd und zu wenig Quality-Time beim Beeren-Sammeln möglicherweise einen Burnout erleiden zu können? Dass sie wegen der lästigen Familienpflege einfach zu wenig zur Höhlenmalerei kämen?

Klar, wir sind keine Steinzeitmenschen mehr. Unsere Gehirne sind weiter entwickelt (bei den meisten zumindest), unsere Wünsche definierter und unsere Ziele und Sinnkonstruktionen komplexer. Daraus jedoch gleich zu schließen, dass sich unser grundlegendes Wesen verändert hat, ist möglicherweise so nicht richtig. Noch immer sind wir, so meine These, dafür gemacht, sinnvolle Aufgaben zu erledigen.
Und das ist nicht eigentlich meine These. Der Begriff Eudaimonismus stammt schon von Aristoteles und grob gesagt formuliert er genau dieses Glück, das aus der Pflichterfüllung resultiert. Das gute Gefühl, ordentlich gearbeitet und etwas geschafft zu haben.

Das lässt sich ausweiten. Wir ernähren uns möglicherweise nicht deswegen von gesunden Dingen, weil wir zwanghaft vernünftig sind. Wir tun dies, weil wir unserem inneren Drang folgen, Sinnvolles zu leisten. Dass das auch auf die Ernährung greift ist wohl auf den heutigen Wissenstand und das Bewusstsein des Menschen zurückzuführen, den Körper lange fit halten zu wollen. Auch Ziele wie Schlankheit, schönem Äußeren (letzten Endes Attraktivität), könnte man so durchaus als Strategien der Partnersuche deuten. Ich glaube eben nicht, dass Vernunft automatisch unglücklich macht. Es mag unterschiedliche Menschentypen geben, aber die Gefahr, bei allzulanger Untätigkeit oder zuviel Freiheit in ein Loch zu fallen scheint, angesichts Fallbeispielen Arbeitsloser und gefallener Hedonisten, durchaus ein reelles Szenario zu sein.
 

Bloß nicht peinlich sein?

 

Soweit so gut. Und wie war das jetzt mit der unglücklich machenden Vernunft, dem Übermaß dieser?
Nun, es gibt da ein paar Regeln in der Gesellschaft, die fragwürdig sind, weil der Sinn dahinter eher im Verborgenen bleibt. Nicht auf den Straßen tanzen, zum Beispiel. Nicht singen, nicht zu laut lachen. Nicht unüberlegt einmal einfach einen Freund besuchen, einen Spontanausflug machen. Nicht alleine auf die Tanzfläche, schon gar nicht als Erster. Nicht wild über die Wiese rennen und sich dann mit klopfendem Herzen einfach fallen lassen. Es gibt soviele davon. Bloß nicht auffallen! Könnt ja peinlich sein.

Einfach mal rumspinnen: endlich frei sein

 

Das sind die Regeln, die wirklich kasteien, meiner Meinung nach. Es sind Scheuklappen und Handschellen für ein munter auf und ab springendes Herz, das einen eigentlich zu wilden Freudensprüngen motivieren wollte. Das einen dazu bringen wollte, lauthals das Lieblingslied aus dem iPod mitzuträllern oder spontan der Frau auf der anderen Straßenseite mitzuteilen, wie unglaublich hübsch sie aussieht.
Manchmal sind es auch andere kleine Wünsche, die man übersieht, weil es eigentlich Wichtigeres zu tun gibt. Die süße Katze knuddeln. Den Sonnenuntergang bewundern. Noch ein bisschen länger schnuppern beim Duft der Bäckerei, an der man vorbeischlendert.

Sinnvolles leisten und trotzdem auch mal bescheuert sein. "Einmal verrückt sein und aus allen Zwängen fliehen", formulierte es Udo Lindenberg. Ich denke nicht, dass man gleich aus "allen Zwängen" fliehen muss. Es reicht schon, spontanen Wünschen zu folgen. Übrigens auch, wenn einen dieser gegenüber eines verlockend fröhlich grinsenden Hanutas überkommt. Man muss sich weder Maßlosig- noch Hirnrissigkeit ergeben, um sich zwanglos und frei zu fühlen.

Wenn ich laufen gehe, sehe ich bestimmt oft aus, als hätte ich einen Sonnenstich erlitten. Ich springe, ich shake zum Beat, ich gestikuliere wild und mime leidenschaftlich mit den Lippen den Songtext meiner Lieblingslieder mit. Mir ist vollkommen klar, dass ich in diesem Moment absolut bescheuert aussehe. Und es ist mir egal. Ich nehme mir einfach die Freiheit, einmal wild zu sein und möglicherweise für nicht ganz dicht gehalten zu werden. "Unvernünftig" zu sein. Und frei.